den Artikel
Das Idyll naiver Glaubensfrömmigkeit wird bisweilen jäh durch das Wort Gottes gestört. Das gilt auch und gerade in Zeiten der Corona-Pandemie, der viele eher mit diffusen und gemischten Gefühlen als mit rationaler Gelassenheit begegnen. Angesichts der Komplexität der Lage gehen Emotionen da häufig vor Informationen. Auch manche Glaubende mögen in kindlicher Naivität lieber der Komplexität sowohl der Welt als auch des Lebens an sich mit Blick auf einen bloß lieben Gott1)ausweichen. Tatsächlich aber sind Welt und Leben die Sphären, in denen sich der Glaube selbst ereignet, verwirklicht und bewähren muss. Ein so verstandener Glaube ist kein Anästhetikum, mit dem man sich im Rausch seliger Weltenthobenheit spirituell selbst überhebt. Ein so verstandener Glaube nimmt die Welt als Sphäre ernst, in der der Geist Gottes weht. Welt und Leben sind deshalb Gott nicht nur nicht entgegengesetzt; der so Glaubende erkennt die Welt als Ort, in dem sich Gott selbst ereignet. Welt und Leben erscheinen in allen Facette, zu denen auch virale Pandemien gehören, als Herausforderung, der sich der Mensch stellen muss – nicht in bloß frommer Betrachtung und Reflexion, sondern als Ereignisort des Glaubens. Kaum eine Schrift des Neuen Testamentes nimmt diese Herausforderung so ernst wie der sogenannte Brief des Jakobus.
Glaube und Zerstreuung
Streng genommen ist der Jakobusbrief gar kein Brief. Ihm fehlen wesentliche Elemente brieflicher Literatur. Es gibt zwar ein Grußanschrift; eine briefliche Schluss- bzw. Grußformel sind aber ebenso wenig zu finden wie ein für antike Briefe typischer Aufbau (Prooemium, Narratio, Argumentatio, etc.). Selbst wenn man weniger strenge Maßstäbe anlegt, scheint dem Text ein kohärenter Aufbau zu fehlen. Eher erscheint der Text als Ansprache, oder besser gesagt: Als eine Sammlung von Ermahnungen, Ansprachen und Gedanken, mit denen sich der Autor mahnend und motivierend an die Leserinnen und Hörer wendet. Solche Konvolute werden gattungskritisch „Epistel“ genannt. Als „Episteln“ bezeichnet man Brieftexte gehobenen Anspruchs. Der Begriff wird aber auch in liturgischen Kontexten als Terminus für Text verwendet, die in einzelne Abschnitte gegliedert im Gottesdienst vorgetragen werden. Sowohl die Anlage und Struktur des Jakobusbriefes passen hervorragend in diese liturgische Definition. Möglicherweise hat er hier seinen eigentlichen Sitz im Leben, so dass die gesamte Epistel eine Sammlung homiletischer bzw. paränetischer Texte wäre, die ursprünglich als mahnend-motivierende Predigt im Gottesdienst vorgetragen wurden. Möglicherweise sind sie sogar aus einer solchen Situation heraus erst zum Text geworden. Hierfür spricht nicht zuletzt die Texteröffnung, mit der der Autor des Textes, der sich selbst Jakobus nennt2), grüßend „an die zwölf Stämme in der Zerstreuung“ wendet (vgl. Jakobus 1,1).
Die Adressierung zeigt, dass sich der Text an keine spezielle Gemeinde wendet. Es handelt sich eher um ein Rundschreiben, das sich an christliche Gemeinden wendet,
„die in der Gefahr standen, einen Glauben zu bekennen, der nicht mehr den ganzen Menschen forderte und ihr Dasein verwandelte“3).
Die als Adressaten genannten „Stämme in der Zerstreuung“ können dabei tatsächlich als doppeldeutige Formulierung gelesen werden. Zuerst kommt dem Wort Diaspora (διασπορά) zweifelsohne eine lokale Komponente in dem Sinne zu, dass die adressierten Gemeinden in der Welt „verstreut“ sind; bedenkt man aber, dass die Wortwurzel σπείρειν (gesprochen: speírein) sowohl im jesuanischen Gleichnis vom Sämann (Markus 4,1-9 parr) als auch in dessen Allegorese (vgl. Markus 4,13-20 parr) explizite Anwendung auf die Verkündigung und erfolglose bzw. erfolgreiche Aufnahme des Glaubens findet, schwingt durchaus eine metaphorische Komponente in dem Sinne mit, dass die Gefahr einer „Zerstreuung des Glaubens“ bei den Adressaten besteht. Tatsächlich hebt in der Komposition der Epistel bereits der unmittelbar anschließende Abschnitt auf eben diese Versuchung ab.
Vom Glück der Versuchung
Die Versuchung ist wohl immer schon ein Stachel im Fleisch des Glaubens gewesen. Nicht nur die sechste Bitte im Vaterunser4) löst immer wieder Irritationen aus, denen sich selbst Papst Franziskus nicht entziehen kann, wenn er in einem Interview des italienischen Fernsehsenders TV 2000 anlässlich der Änderung der französischen Übersetzung der sechsten Vaterunser-Bitte feststellt, dass es nicht Gott, sondern der Satan sei, der in Versuchung führe5). Tatsächlich aber kann die sechste Bitte schwerlich anders übersetzt werden als „und führe uns nicht in Versuchung“ . Auf den ersten Blick könnte sich Papst Franziskus in seiner Sicht aber auch auf das Jakobusschreiben berufen, heißt es doch dort:
Keiner, der in Versuchung gerät, soll sagen: Ich werde von Gott in Versuchung geführt. Denn Gott lässt sich nicht zum Bösen versuchen, er führt aber auch selbst niemanden in Versuchung.
Tatsächlich verwendet der Autor hier mit πειρασμός (gesprochen: peirasmós) denselben Begriff wie im Vaterunser. Oberflächlich scheint hier also ein Widerspruch zur sechsten Vaterunser-Bitte zu bestehen, führt der Text doch ausdrücklich aus, dass Gott niemanden selbst in Versuchung führe. Gleichwohl ist dem Autor die reale Möglichkeit des Versuchtwerdens völlig bewusst. Mehr noch: Er preist das Eintreten dieser Möglichkeit direkt zu Beginn des Abschnittes sogar als Chance der Bewährung:
Nehmt es voll Freude auf, meine Brüder und Schwestern, wenn ihr in mancherlei Versuchungen geratet! Ihr wisst, dass die Prüfung eures Glaubens Geduld bewirkt. Die Geduld aber soll zu einem vollkommenen Werk führen, damit ihr vollkommen und untadelig seid und es euch an nichts fehlt
Die Einheitsübersetzung 2016 bildet hier sehr gut den griechischen Text nach, der von drei Begriffen geprägt ist, die gewissermaßen schrittweise hergeleitet werden: Versuchung (πειρασμός – gesprochen: peirasmós), Prüfung (δοκίμιον – gesprochen: dokímion) und Geduld (ὑπομονή – gesprochen: hypomoné). Die Reihung baut aufeinander auf. Versuchung ist Prüfung, Prüfung bewirkt Geduld. Bemerkenswert ist dabei, dass mit τὸ δοκίμιον (gesprochen: tò dokímion) ein Begriff gewählt wird, der ausweislich einer Konkordanz außer an dieser Stelle nur noch in 1 Petrus 1,7 Verwendung findet. Paulus hingegen benutzt, wenn er von Prüfungen spricht, durchgängig das feminine ἡ δοκιμή (gesprochen: he dokimé). Tatsächlich sind beide Termini um eine Nuance bedeutungsverschieden, die allerdings für das Verständnis der Stelle von Belang ist. Δοκιμή (gesprochen: dokimé) meint eher die Bewährung bzw. die Erprobtheit an sich6), spricht also tendentiell auf den Vorgang der Prüfung an sich an. Demgegenüber eignet dem Neutrum τὸ δοκίμιον (gesprochen: tò dokímion), das auch als „Prüfstein/Prüfungsmittel“ übersetzt werden kann, eher der Aspekt des Mittels der Prüfung7). So gesehen ist die Versuchung (πειρασμός) für Jakobus ein Mittel zum Zweck der Prüfung. Ihr eignet kein Wert in sich. Die Reihung „Versuchung (πειρασμός) – Prüfung(smittel) (δοκίμιον) – Geduld (ὑπομονή)“ ordnet damit die faktische Erfahrung von Versuchungen, wie sie jedem Menschen im Allgemeinen, den Christen aber auch im Besonderen widerfahren, in einen größeren Zusammenhang ein. Sie wird funktional gedeutet – eben als Prüfungsmittel, an dem sich die Geduld der Glaubenden bewähren kann. Deshalb spricht der Autor in Jakobus 1,2 auch von der Freude, die die Glaubenden angesichts der Versuchung empfinden sollen, bietet sich für sie doch eine Chance zur Bewährung. Konsequent formuliert er Jakobus 1,12 eine Seligpreisung (μακάριος – gesprochen: makários) derjenigen, die in der Versuchung standhalten, die Prüfung bestanden haben und dementsprechend den verdienten Lohn empfangen.
Die Quelle der Versuchung
Genau von hier aus wird dann auch die Zurückweisung in Jakobus 1,13 verstehbar, dass niemand, der in Versuchung gerät, sagen soll, er sei von Gott in Versuchung geführt worden, weil Gott grundsätzlich nicht in Versuchung führe, schon gar nicht zum Bösen. Als Ursache der Versuchung, von der Jakobus spricht wird in Jakobus 1,14 vielmehr die eigene Begierde (ἐπιθυμία – gesprochen: epithymía) genannt, die an sich zur conditio humana gehört. So, wie aber die ἐπιθυμία grundsätzlich menschlich ist, so kann der Mensch die durch die ἐπιθυμία verursachte Versuchung nicht meiden. Vielmehr soll er sie – und das ist die Quintessenz der Ausführungen des ersten größeren Abschnittes des Jakobusschreibens – als Gelegenheit zur Bewährung nutzen.
Anders als im Vaterunser geht es also hier um die Frage der Herkunft der Versuchung, so dass hier die Thematik eine andere ist also dort8). Während Jesus im Vaterunser angesichts der Erfahrung der eigenen Versuchungen (vgl. Markus 1,12f parr), die Jesus zumindest bei Matthäus und Lukas auch die Wirkmacht menschlicher ἐπιθυμίαι (gesprochen: epithymíai) vor Augen führt, die Jünger lehrt, Gott möge ihnen diese tiefgreifenden Prüfungen, in denen der Glaubende eben auch scheitern kann und Glaubende bis heute scheitern9), ersparen. Dabei wird in der synoptischen Tradition die Gottgewolltheit der Versuchung Jesu sogar betont, wenn es heißt, dass der Geist Jesus in die Wüste treibt (vgl. Markus 1,12 parr) und Jesus, den Christen als Sohn Gottes bekennen, geradezu gezwungen wird, sich seinen menschlichen Begierden aus- und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Hier, an diesem Punkt, besteht dann doch eine gewisse Berührung zwischen dem kontextuellen Hintergrund des Vaterunser und dem Schreiben des Jakobus.
Die ἐπιθυμία, das irdische Verlangen wird selbst zum Ort der Bewährung. Wer hier vorschnell in den Himmel schaut und Gott die Verantwortung für die aus dem eigenen Verlangen stammende Versuchung zuschieben möchte, bringt sich selbst nicht nur um diese Chance der Glaubensbewährung und eigenen Reifung, er fliehtauch dem, wozu er gesandt ist: der Verkündigung des Glaubens in Wort und Tat in einer Welt, die so ist, wie sie eben ist. Jakobus gibt damit der Versuchung eine Bedeutung. Der Glaubende ist ihrer Erfahrung, die ihm wohl nicht erspart bleiben kann, nicht hilflos ausgeliefert. Er kann sie nutzbar machen, wenn er sie als Ort der Bewährung versteht. Polemisch könnte man den vermeintlichen Kontrast zum Vaterunser deshalb sogar verstärken: Wenn jemand in Versuchung geführt wurde, soll er eben nicht in ihr verharren oder sich ihr tatenlos ausliefern, sondern sich in ihr bewähren.
Glaube ist Tat
Genau das ist der Ansatz für die weiteren Gedanken des Schreibens des Jakobus. Bereits in den Reflexionen über die Bedeutung und Einordnung der ebenso menschlichen wie existentiellen Versuchungserfahrungen wird deutlich, dass es um Bewährung geht. Offenkundig sind die Versuchungen, an die Jakobus denkt, aber weniger spiritueller, sondern höchst konkreter Natur – verursacht eben durch Begierden (ἐπιθυμίαι). Eine solche Begierde ist auch der Zorn (ὀργή – gesprochen: orgé), ein starker Affekt, zu dem der Mensch angesichts einer Bedrohung oder eines erlittenen Unrechtes neigt. Direkt in Anschluss an die Gedanken zur begierdeverursachten Versuchung mahnt Jakobus:
Wisset, meine geliebten Brüder und Schwestern: Jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn; denn der Zorn eines Mannes schafft keine Gerechtigkeit vor Gott.
Das triebhafte und affektive Reagieren erscheint als Ort der Versuchung. Die Bewährung besteht gerade darin, sich nicht von den Affekten leiten zu lassen, sondern zuerst genau hinzuhören (und sicher auch hinzusehen) und „langsam“ zu reden. Das Gegenüber von „schnell“ und „langsam“ ist hier weniger tachygrafisch zu verstehen, also im Sinn einer Geschwindigkeit, sondern mehr temporal. Die Glaubenden sollen zwar von schneller Auffassungsgabe sein, ihre Reaktionen aber nicht den affektiven Reflexen überlassen, sondern wohlbedacht und überlegt handeln. Genau um dieses Handeln geht es aber. Die Glaubenden können sich nicht auf einen sicheren Posten zurückziehen, wenn sie vorgeben, Frömmigkeit mit sauberen Händen allein genüge für einen reifen Glauben. Demgegenüber stellt Jakobus unumstößlich fest:
Werdet aber Täter des Wortes und nicht nur Hörer, sonst betrügt ihr euch selbst! Wer nur Hörer des Wortes ist und nicht danach handelt, gleicht einem Menschen, der sein eigenes Gesicht im Spiegel betrachtet: Er betrachtet sich, geht weg und schon hat er vergessen, wie er aussah. Wer sich aber in das vollkommene Gesetz der Freiheit vertieft und an ihm festhält, wer es nicht nur hört und es wieder vergisst, sondern zum Täter des Werkes geworden ist, wird selig sein in seinem Tun.
Der Glaube erscheint hier als Tatwort. Mehr noch: Die Tat verleiht dem Glauben erst Relevanz. Sie setzt Fakten. Das Faktum aber schafft und verändert Wirklichkeit – eine Wirklichkeit, ohne die der Glaube sich selbst vergisst. In der letzten Konsequenz stellt Jakobus deshalb fest, dass ein tatloser Glaube nicht nur irrelevant, sondern wertlos ist – vor allem dann, wenn zweifellos fromme, aber tatenlose Glaubende mit flinker Zunge Urteile über andere fällen:
Wenn einer meint, er diene Gott, aber seine Zunge nicht im Zaum hält, sondern sein Herz betrügt, dessen Gottesdienst ist wertlos.
Gerade für solche hält Jakobus aber eben eine höchst konkrete Therapie bereit:
Ein reiner und makelloser Gottesdienst ist es vor Gott, dem Vater: für Waisen und Witwen in ihrer Not zu sorgen und sich unbefleckt von der Welt zu bewahren.
Ein tatenloser Glaube ist ein Lippenbekenntnis mit Herpes
Glaube und Tat gehören zusammen. Oder anders: Glaube (πίστις – gesprochen: pístis) ist Arbeit (ἔργον – gesprochen: érgon). Das Begriffspaar von Glaube und Arbeit, von πίστις und ἔργον prägt einen Abschnitt innerhalb des Schreibens des Jakobus, der gerade im Diskurs mit der protestantischen Theologie äußerst umstritten war und ist. Es handelt sich um den Abschnitt Jakobus 2,14-26, jenen Absatz, den Martin Luther unter den Verdacht jener Werkgerechtigkeit stellte, gegen die er sich theologisch wendete: Man kann sich die Gerechtigkeit nicht durch Werke des Glaubens verdienen. Die Widerständigkeit Luthers gegen die Gedanken des Jakobus führten nicht zuletzt dazu, dass Martin Luther die Jakobusepistel unter das Verdikt einer „strohernen Epistel“ stellte und mit dem für seine Theologie ebenso resistenten Hebräerbrief weiter hinten in seine Ausgabe des Neuen Testamentes schob und vor die Offenbarung des Johannes einordnete10). Dabei beruht die Interpretation Martin Luthers wohl auf einem Missverständnis von Jakobus 2,18:
Aber es könnte einer sagen: Du hast Glauben und ich kann Werke vorweisen; zeige mir deinen Glauben ohne die Werke und ich zeige dir aus meinen Werken den Glauben.
In der Tat liest sich der Vers auf den ersten Blick als vermeintlich Korrektur des paulinischen und für Luthers Rechtfertigungslehre so bedeutsamen Diktums aus dem Römerbrief:
Denn wir sind der Überzeugung, dass der Mensch gerecht wird durch Glauben, unabhängig von Werken des Gesetzes.
Tatsächlich ist aber einerseits im Römerbrief nicht von Werken allgemein, sondern von Werken des Gesetzes (ἔργων νόμου – gesprochen: érgon nómou) die Rede; andererseits spricht auch die Jakobusepistel nicht davon, dass der Glaube nicht aus Werken entsteht, sondern sich in Werken erweist, das heißt konkretisieren muss, wenn er eben nicht zu einer bloß frommen, aber belanglosen Spielerei ohne Relevanz verkommen soll. Der entsprechende Passus lautet auf Griechisch κἀγώ σοι δείξω ἐκ τὼν ἔργων μου τὴν πίστιν (gesprochen: kagó soi deíxo ek tòn érgon mou tèn pístin):
und ich zeigt dir aus den Werken meinen Glauben.
Die entscheidende Partikel ist das ἐκ (gesprochen: ek). Es geht gerade nicht um einen Glauben oder eine Glaubensgerechtigkeit aufgrund von Werken – dann wäre ἀπό (gesprochen: apó) zu erwarten gewesen -, sondern um einen Glauben, der sich tatkräftig in Werken erweist, der gewissermaßen aus (ἐκ) Werken besteht. Das wird vor allem in der rhetorischen Frage in Jakobus 2,20 deutlich:
Willst du also einsehen, du törichter Mensch, dass der Glaube ohne Werke nutzlos ist?
Der Glaube allein genügt gerade nicht, wenn er kein tatkräftiger Glaube ist. Geradezu sarkastisch hakt der Autor der Epistel deshalb nach:
Du glaubst: Es gibt nur einen Gott. Damit hast du Recht; das glauben auch die Dämonen und sie zittern.
Auch die Dämonen, die guten wie die bösen12), anerkennen die Größe Gottes und glauben an ihn. Der Glaube allein beweist also noch nichts, wenn er sich nicht in der Tat auswirkt. Wer hingegen den Glauben nur mit ebenso flinken wie frommen Lippen bekennt, dessen Lippenbekenntnisse können schnell Herpes bekommen, denn
die Zunge kann kein Mensch zähmen, dieses ruhelose Übel, voll von tödlichem Gift. Mit ihr preisen wir den Herrn und Vater und mit ihr verfluchen wir die Menschen, die nach dem Bilde Gottes geschaffen sind. Aus ein und demselben Mund kommen Segen und Fluch. Meine Brüder und Schwestern, so darf es nicht sein.
So gesehen macht der Autor der Epistel mit einem Wort aus dem Munde Jesu selbst ernst:
Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern wer den Willen meines Vaters im Himmel tut.
Tatort Welt für das Tatwort Glauben
Glaube ist Tat, Glaube ist Arbeit. Wer die Hände fromm zum Gebet faltet, muss sie für die gläubige Tat zur Arbeit rühren. Wer eilfertig die Knie vor dem Höchsten beugt, muss sich tatgläubig in der Welt denen gegenüber bücken, die krank und schwach sind. Nicht ohne Grund findet sich im Jakobusbrief der Keim des Sakramentes der Krankensalbung:
Ist einer von euch bedrückt? Dann soll er beten. Ist jemand guten Mutes? Dann soll er ein Loblied singen. Ist einer unter euch krank, dann rufe er die Ältesten der Gemeinde zu sich; sie sollen Gebete über ihn sprechen und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben. Das gläubige Gebet wird den Kranken retten und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden begangen hat, werden sie ihm vergeben. Darum bekennt einander eure Sünden und betet füreinander, damit ihr geheilt werdet! Viel vermag das inständige Gebet eines Gerechten.
Beten und salben, bekennen und arbeiten, Wort und Tat – das gehört zusammen, wenn echter Glaube sich ereignet. Was wird werden, wenn alle Glaubenden nicht nur reden, sondern auch tun, was sie bekennen? Die Welt wird eine andere sein. Es ist die Welt, in die Gott seine Kirche gesetzt hat. Gerade in Zeiten wie diesen, wo ein Virus manch einen und eine in Unruhe versetzt, sind gottvertrauende Gelassenheit und mündige Tatkraft gefordert. Also: Betet und arbeitet! Der Glaube will getan werden!
Bildnachweis
Titelbild: Hände (truthseeker08) – Quelle: Pixabay – lizenziert mit Pixabay-Lizenz.
Video: Kath 2:30 – Episode 30: parakaleîn (Katholische Citykirche Wuppertal/Christoph Schönbach) – Quelle: Vimeo – alle Rechte vorbehalten.
Einzelnachweis
1. | ↑ | Vgl. hierzu auch Werner Kleine, Gepackt und überwältigt, Kath 2:30, 29.8.2020, Quelle: https://www.kath-2-30.de/2020/08/29/gepackt-und-ueberwaeltigt/ [Stand: 30. August 2020]. |
2. | ↑ | Die Namensangabe „Jakobus“ wird durch den Zusatz „Knecht Gottes und Jesu Christi“ näher charakterisiert (Jak 1,1). In der Auslegungsgeschichte ist immer wieder versucht worden, den Autor mit einem der sonst im Neuen Testament bekannten Personen mit dem Namen „Jakobus“ zu identifizieren. Hier kommen neben Jakobus, dem Sohn des Zebedäus (vgl. Mk 1,19 parr), der auch „der Ältere“ genannt wird, auch der in der Jüngerliste Mk 3,17-19 genannte „Sohn des Alphäus“ in Frage. Auch Jakobus der „Herrenbruder“ (vgl. Mk 6,13 par Mt 13,55) käme dann als Kandidat in Frage. Allein diese vier Personen zeigen aber schon, dass der Name „Jakobus“ durchaus verbreitet war. Mit Blick auf den Verfasser der Jakobus-Epistel kann man deshalb wie Rudolph Hoppe in seinem Jakobusbrief-Kommentar feststellen, dass es sich um eine fingierte Verfasserschaft handelt (vgl. Rudolph Hoppe, Jakobusbrief, SKK NT 15, Stuttgart 1999, S. 13). Möglich ist aber auch, dass es sich um einen ansonsten unbekannten Verfasser handelt, der tatsächlich den Namen Jakobus trug und der gegen Ende des ersten christlichen Jahrhunderts als Lehrer oder Prediger im Milieu des hellenistischen Judenchristentums (vgl. zu Abfassungsort und -zeit ebd.; siehe hierzu auch Eugen Ruckstuhl, Jakobusbrief/1.-3. Johannesbrief, NEB.NT Bd. 17/19, Würzburg 1999, S. 8f) wirkte. |
3. | ↑ | Eugen Ruckstuhl, Jakobusbrief/1.-3. Johannesbrief, NEB.NT Bd. 17/19, Würzburg 1999, S. 9. |
4. | ↑ | Vgl. hierzu Werner Kleine, Gestolpert? Hinschauen! Betrachtungen zur sechsten Bitte im Vater Unser „Und führe uns nicht in Versuchung“, Dei Verbum, 1.8.2020, Quelle: https://www.dei-verbum.de/gestolpert-hinschauen/ [Stand: 30. August 2020] sowie Werner Kleine, Kirche.Macht.Glauben. Oder: Wenn das Wort Gottes nicht sagt, was es meinen soll, Dei Verbum, 4.2.2020, Quelle: https://www.dei-verbum.de/kirche-macht-glauben. Siehe auch Werner Kleine, „Und führe uns nicht in Versuchung“, in: Patoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Hildesheim, Köln und Osnabrück 2018 (Jahrgang 70), S. 35-42 sowie Gunther Fleischer, Die Versuchungs-Bitte, in: Patoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Hildesheim, Köln und Osnabrück 2018 (Jahrgang 70), S. 102-110. |
5. | ↑ | Vgl. hierzu etwa die Notiz in der Online-Ausgabe der Zeitschrift „Die Zeit“ vom 7.12.2017 unter der Überschrift „Papst plädiert für neue Übersetzung des Vaterunser“ – Quelle: https://www.zeit.de/gesellschaft/2017-12/vatikan-papst-franziskus-vaterunser-uebersetzung [Stand: 30. August 2020]. |
6. | ↑ | Vgl. hierzu Walter Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, Berlin 1988, Sp. 407. |
7. | ↑ | Vgl. hierzu Walter Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, Berlin 1988, Sp. 407f. |
8. | ↑ | So auch Gunther Fleischer, Die Versuchungs-Bitte, in: Patoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Hildesheim, Köln und Osnabrück 2018 (Jahrgang 70), S. 106. |
9. | ↑ | Vgl. etwa zu den aus menschlichen Begierden hervorgerufenen Versuchungen des Klerikalismus etwa Rainer Bucher, „Das Übel des Klerikalismus ist etwas sehr Hässliches“, 2018, Quelle: https://www.feinschwarz.net/das-uebel-des-klerikalismus-ist-etwas-sehr-haessliches/ [Stand: 30. August 2020]. |
10. | ↑ | Vgl. zu Martin Luthers Begründungen die Weimarer Ausgabe (WA) Deutsche Bibel (DB), Bd. 8, S. 344, 348, 404; vgl. auch WA DB, Band 6, S. 10 zur Bewertung des Jakobusbriefes und WA DB, Band 7, S. 386: „Ich [will] yhn (den Jakobusbrief) nicht haben ynn meyner Bibel“. |
11. | ↑ | Bis heute weist die Lutherübersetzung, auch die revidierte Fassung der Lutherbibel 2017, von Röm 3,28 den Zusatz „allein [aus Glauben …]“ auf, der zwar die Rechtfertigungslehre Luthers stützt; allerdings fehlt das Wörtchen „allein“ (μόνον – gesprochen: mónon) im griechischen Urtext. |
12. | ↑ | In der antiken Weltsicht ist ein Dämon (griechisch δαίμων – gesprochen: daímon) an sich erst einmal nur Lebensenergie (die Verwendung des Begriffs für die Bezeichnung einer Batteriemarke (Daimon) ist deshalb nicht zufällig), die weder gut noch böse ist. Ob ein Dämon, die Lebensenergie, gut und böse verwendet wird, macht dann den guten oder den bösen Dämon. So kann ein Dämon sowohl zum Glück wie zum Unglück eines Menschen beitragen. |