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Disput·Ecclesiastica·Pastoralia

Der Sauerteigplan Oder: Evangelisieren ist eigentlich einfach, wenn man nicht ständig davon reden würde ...


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Schillernd ist der Charakter des Wortes. Zwischen schöpferischer Macht, die ins Dasein ruft, und gewöhnlichem Palaver, das bloß die eigene Leere zu verbergen sucht, entfaltet sich die Wirklichkeit der Worte. Sie schaffen Bewusstsein, führen zu Erkenntnis oder schlagen einfach nur die Zeit und bisweilen auch einen Gegner rhetorisch tot. Wahrhaftig: Worte sind in jeder Hinsicht mächtig. Man sollte deshalb vorsichtig mit ihnen umgehen, behutsam und mit Bedacht. Ein falsches Wort zur falschen Zeit kann ebenso Verderben bringen wie ein richtiges Wort zur richtigen Zeit Neues schafft, Feinde versöhnt oder Wege weist. Dabei sind Worte in sich durchaus ambivalent. Ihre äußere Gestalt, die sich in Buchstaben oder phonetisch artikuliert Ausdruck verschafft, repräsentiert eine innere Bedeutung, die eine Wirklichkeit interpretiert. Man muss schon in die Korrelation von Wortgestalt und Wortgehalt initiiert sein, um die Bedeutung der Worte zu erfassen. Wer diese Codierungen nicht kennt, hört bloß Laute oder sieht schwarze Striche auf weißem Grund – mehr nicht. Jeder kennt das: Wer andere in fremden Sprachen reden hört oder fremdsprachige Texte liest, nimmt zwar die Wortgestalt wahr; die Bedeutung der Worte und damit der Inhalt dessen, was die Worte repräsentieren, bleibt aber eben verborgen.

Fremde im eigenen Haus

Das Fremdsein kann aber auch dann empfunden werden, wenn Worte der eigenen Muttersprache verwendet werden. Dieser Zustand tritt immer dann ein, wenn die vertrauten Codes wissentlich oder unwissentlich aufgebrochen werden. Oft spielen hier nonverbale Elemente eine Rolle, die das Wort begleiten und in der Regel seinen Gehalt mimisch, gestisch oder stimmlich unterstützen. Werden hier aber divergierende Signale ausgesendet, die dem eigentlichen Wortgehalt entgegenstehen, entstehen rhetorische Fallen, sogenannte „Double binds“, aus denen sich die so Angesprochenen kaum befreien können. Wer lächelnd eine schlechte Botschaft überbringt, hat immer einen Anlass sich herauszuwinden. Und wer – wie in diesen Tagen geschehen – wie Björn Höcke anlässlich des Attentats auf die Synagoge und der beiden Ermordeten von Halle fragt, was das denn für Menschen seien, die Menschen so etwas antun1), möchte angesichts eines aus gleichem Mund erfolgten Aufrufs, man komme nicht als Freund oder Neutraler, sondern als Feind, der wie ein Wolf in die Schafherde einbricht2), seine Hände in Unschuld waschen – freilich im Blut der Opfer, das nun doch an seinen Händen klebt. Die Sprache ist ein komplexes Phänomen. Sie verbindet, gibt Heimat und kann einen doch zum Fremden im eigenen Haus machen. Sie ist mächtig und bisweilen gefährlich. Wohl nirgends sonst kommt die Gottebenbildlichkeit des Menschen so zu Vorschein, wie in der Fähigkeit zur Sprache; und nirgends sonst ist der Mensch gefährdeter, so sein zu wollen, wie Gott. Zwischen der Mitwirkung am göttlichen Plan, der schon in der Genesis darin zum Ausdruck kommt, wenn der Mensch jedes lebendige Wesen bewortet, wenn er ihnen Namen gibt (vgl. Genesis 2,19) und der satanischen Versuchung der Selbstvergottung als Herr über Leben und Tod, die Gott selbst abwehren möchte (vgl. Genesis 3,22) liegt nur ein kleiner Schritt für den Menschen, der für die Menschen zum großen Tritt in den Abgrund werden kann.

Allmächtig ohnmächtig

Wer sich dieser Macht der Worte bewusst ist, wird ihnen mit Ehrfurcht begegnen. Für manch einen wird die Ehrfurcht aber auch zum Schrecken und Erschrecken über sich selbst – vor allem dann, wenn die eigenen Position, in der man sich befindet, imstande ist, der Wirkmacht der Worte durch die eigenen Vollmacht zu verstärken. Es hängen ja nicht nur Wortgestalt und Wortgehalt miteinander zusammen. Sie sind auch an den gebunden, der die Worte und mit ihnen Wirklichkeit schafft. Die Worte binden ihre Schöpferinnen und Schöpfer an die durch sie gewirkte Schöpfung. Dieses Schicksal ereilte ja schon Gott selbst, der sich eben nicht so einfach von seiner wirkmächtig verantworteten Schöpfung dispensieren kann. Wer Worte spricht, ist verantwortlich für das, was er spricht. Das ist zum einen der tiefere Grund, der Paulus sagen lässt:

Treu ist Gott, durch den ihr berufen worden seid zur Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn. 1 Korinther 1,9

Zum anderen erinnert derselbe Paulus seine Gemeinden immer wieder an den Glauben, den sie durch ein zustimmendes Wort übernommen haben und in dem sie nun selbst stehen:

Wir sind nicht Herren über euren Glauben, sondern wir sind Mitarbeiter eurer Freude; denn im Glauben steht ihr fest. 2 Korinther 1,24

Nicht zuletzt nimmt er auch sich selbst in diese Pflicht der Worte, die er spricht:

Gott ist treu, er bürgt dafür, dass unser Wort euch gegenüber nicht Ja und Nein zugleich ist. Denn Gottes Sohn Jesus Christus, der euch durch uns verkündet wurde – durch mich, Silvanus und Timotheus – , ist nicht als Ja und Nein zugleich gekommen; in ihm ist das Ja verwirklicht. Denn er ist das Ja zu allem, was Gott verheißen hat. Darum ergeht auch durch ihn das Amen zu Gottes Lobpreis, vermittelt durch uns. 2 Korinther 1,18-20

Wer Worte spricht, bindet sich. Er schafft Wirklichkeiten, denen er nun selbst ausgeliefert ist. Selbst die Allmacht Gottes ist angesichts der wortgemachten Schöpfung letztlich ohnmächtig, was die Wirkung des Wortes angeht. Kein Wunder, dass die, die eigentlich nichts als die Macht der Worte haben, das Fürchten lernen …

Worthülsen

Für die eigenen Worte verantwortlich zu sein, bindet. Die Menschen könnten ernst nehmen, was man sagt. Sie könnten einen auf das Gesagte verpflichten. Die ganze schöne Macht erwiese sich als Ohnmacht, wenn man auch tun müsste, was man sagt. Das Geschwätz von gestern kann schon sehr störend sein.

Diejenigen, die Verantwortung tragen, sind deshalb geübt darin, die Leserinnen und Hörer geschickt hinzuhalten. Sie formulieren wohlfeile Worthülsen, Lexeme, Seme und Phoneme ohne Inhalt. Sie schmeicheln den Ohren und Augen, suggerieren Weisheit und Verstand, nur nachfragen darf niemand. Wer um die Macht der Worte weiß, kennt sich auch mit so etwas aus. Politiker etwa können auf diese Weise palavern, bis sie wahrscheinlich selbst an das glauben, was sie sagen. Auch viele, die in der Kirche eigentlich Verantwortung tragen, beherrschen die Kunst, verbale Hülsenfrüchte auszusäen, wobei doch jeder weiß, dass deren Genuss bisweilen Flatulenzen verursacht. Dabei gehen sie durchaus geschickt vor, indem sie Worte bilden, deren rhetorische Valenz auf den ersten Blick unschlagbar ist. Charismenorientierung ist so ein Wort, bei dem niemand so genau sagt, was das eigentlich ist, jeder aber glaubt zu wissen, was das sei; auf jeden Fall nicken alle zustimmend und erstarren in Ehrfurcht, handelt es sich doch um einen Begriff, der zumindest biblisch angehaucht ist – auch wenn Paulus ihn eigentlich als Kampfbegriff zu Abwehr allzu geistbeseelter Selbstbeglückung und damit meist gegenläufig zu dem verwendet, was heutzutage unter charismatischer Bewegung verstanden wird.

Andere Worte, die gegenwärtig ebenso schlagend in kirchlichen Kreisen verwendet werden, sind „geistlich“ und „Evangelisierung“. Kein Zukunftsprozess, kein kirchlicher Stuhlkreis, ja sogar der irgendwo zwischen echter Synode (die wirkliche Wortwirksamkeit bedeuten würde) und zeittotschlagend-palavernden Dialogprozess reloaded „gemeinsame Weg“-Weg, der gemeinhin unter dem ebenso luftigen Buchstabengeflecht „synodaler Weg“ firmiert, kommt ohne diese beiden Begriffe aus. Richtig echt katholisch ist es nur, wenn es „geistlich“ ist – wobei auch hier niemand sagt (und wahrscheinlich auch nicht weiß), was einen Weg, auf dem man wirklich voranschreitet (das meint ja eigentlich das Fremdwort „Prozess“) nun genau zu einem „geistlichen Weg“ macht. Ein bisschen Beten oder Bibelteilen am Anfang von Sitzungen, die danach genauso verlaufen, als hätte man nicht gebetet oder Worte aus der Bibel ebenso andächtig wie vorhersehbar herausgeklaubt, kann es wohl kaum sein …

Was aber ist nun noch unter dem schlagenden Wort „evangelisieren“ oder als Substantiv „Evangelisierung“ gemeint, das viele der wortmächtigen Kirchenfürsten nun angesichts des „gemeinsames Weg“-Wegs so oft im Munde führen – ein „gemeinsamer Weg“-Weg, der ja eigentlich zur Bewältigung der unübersehbaren Krise angesichts des von Klerikern begangenen sexuellen Missbrauchs ausgerufen wurde, der durch die Veröffentlichung der MHG-Studie im September 2018 unübersehbar offenbar geworden ist. Was soll da der Begriff „Evangelisierung“, wenn nicht die Funktion eines rhetorischen Feigenblattes in Größe einer Erbse oder bestenfalls einer Bohne, die die Scham doch nicht bedecken kann. Schon hört man die Stimme Gottes rufen, die weiland schon den Adam traf, der gerade eben Gut und Böse zu unterscheiden gelernt hatte und sich deshalb versteckte:

Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du von dem Baum gegessen, von dem ich dir geboten habe, davon nicht zu essen? Genesis 3,11

So der Nutzlosigkeit des Feigenblattes entlarvt, suchte schon Adam die Ausflucht, indem er Verantwortung der Gefährtin zuschob, die ihrerseits die Schlange bezichtigte (vgl. Genesis 3,12-13). Zu allem fähig und für nichts verantwortlich, so erscheinen auch die Bischöfe in dieser Zeit, gerade wenn sie nach Art des bereits in der Antike bekannten Status translationis einfach die Zuständigkeit oder Thematik auf ein anderes Feld verlagern wollen. Double bind haben viele Gesichter. Der mangelnde Glaube ist an allem schuld, weshalb jetzt wieder evangelisiert werden soll. Die Frage ist nur: Wer evangelisiert werden soll: die Missbrauchsopfer oder die frommen Täter im Priestergewand und ihre bisweilen episkopalen Gehilfen der Vertuschung, die doch eigentlich fest im Evangelium stehen sollten, sich aber gemäß des Evangeliums durch ihre Tat selbst den Mühlstein um den Hals gehängt haben (vgl. Lukas 17,2), oder die – was zwar ein wichtiges Thema ist, das aber eben (deshalb der Status translationis) völlig am ursprünglichen Thema des „gemeinsamen Weg“-Wegs vorbeigeht – Gewinnung neuer Menschen, die zu Jesus geführt werden, auf dass die Kirche wachse …

Mutterkorn

Jesus selbst ist sich der Wirkmacht des Wortes nur zu bewusst. Wie könnte das verwundern, ist er selbst doch der der fleischgewordene Logos (vgl. Johannes 1,14), jenes Wortes, das schöpft und schafft. Seine Verkündigung geschieht deshalb vorrangig in Gleichnissen, denen zu eigen ist, dass sie bekannte Wortegestalten verwenden, deren Wortgehalt aber eben eine vieldeutige Beziehung haben. Sie erschließen sich sicher auf der ursprünglichen Codeebene. Ihre Vieldeutigkeit ist daher nicht irreführend. Das Gleichnis vom guten Hirten, der ein verlorenes Schaf sucht (vgl. Lukas 15,4-7 par) erschließt sich auch dann, wenn man den tieferen Sinn nicht erfasst; es ist dann einfach eine schöne (Kurz-)Geschichte. Wer aber tiefer zu sehen im Stande ist, wer also eine weitergehende Initiation besitzt, erkennt in ihm eben auch eine Aussage über das Verhältnis Gottes zu seinen Menschen: Sie sind frei, ihrer Wege zu gehen; Gott sei Dank ist auch Gott so frei, diesen Wegen immer zu folgen und die Verlorenen zu suchen. Gleichwohl stoßen sich schon die Jünger Jesu an seiner Rede:

Da traten die Jünger zu ihm und sagten: Warum redest du zu ihnen in Gleichnissen? Er antwortete ihnen: Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Himmelreichs zu verstehen; ihnen aber ist es nicht gegeben. Denn wer hat, dem wird gegeben und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. Deshalb rede ich zu ihnen in Gleichnissen, weil sie sehen und doch nicht sehen und hören und doch nicht hören und nicht verstehen. An ihnen erfüllt sich das Prophetenwort Jesajas: Hören sollt ihr, hören und doch nicht verstehen; sehen sollt ihr, sehen und doch nicht einsehen. Denn das Herz dieses Volkes ist hart geworden. Mit ihren Ohren hören sie schwer und ihre Augen verschließen sie, damit sie mit ihren Augen nicht sehen und mit ihren Ohren nicht hören und mit ihrem Herzen nicht zur Einsicht kommen und sich bekehren und ich sie heile. Matthäus 13,10-15

Ein Evangelisierungsforderer, der diese Worte des Evangeliums liest, muss wohl in sich gehen und das Geheimnis des Wortes „Evangelisierung“ erforschen, damit er zur Einsicht kommt und nicht als Sämann Worte aussät, die sich als Mutterkorn entpuppen, dass die aufgegangene Saat befällt, vergiftet und ungenießbar macht. Zum Mutterkorn werden Worte vor allem dann, wenn ihnen keine Taten folgen oder sie nicht durch die Taten derer gedeckt sind, die wohl gerade deshalb gerne viele Worte machen. Ihnen allen gilt – umso mehr, je höher die Verantwortung für die Verkündigung ist – die Mahnung Jesu:

Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern wer den Willen meines Vaters im Himmel tut. Viele werden an jenem Tag zu mir sagen: Herr, Herr, sind wir nicht in deinem Namen als Propheten aufgetreten und haben wir nicht in deinem Namen Dämonen ausgetrieben und haben wir nicht in deinem Namen viele Machttaten gewirkt? Dann werde ich ihnen antworten: Ich kenne euch nicht. Weg von mir, ihr Gesetzlosen! Matthäus 7,21-23>

Roggen_mit_Mutterkorn
Das Mutterkorn ist eine längliche, kornähnliche Dauerform des Mutterkornpilzes, der für Menschen und Tiere giftig ist. Ein einziges Mutterkorn genügt, um die ganze Ernte unbrauchbar zu machen.

Unkrautlinge

Dass es im Acker Gottes auch Unkraut gibt, ist letztlich auch eine Folge der ohnmächtigen Allmacht Gottes. Er muss es in Kauf nehmen, weil das vorzeitige Ausreißen auch die gute Saat beschädigen könnte. Erst in der Zeit der Ernte wird das Gute vom Bösen getrennt werden. Das Gute aber hat Bestand. So erzählt Jesus es selbst in einem weiteren Gleichnis:

Jesus legte ihnen ein anderes Gleichnis vor: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun die Menschen schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging weg. Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein. Da gingen die Knechte zu dem Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut? Er antwortete: Das hat ein Feind getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen? Er entgegnete: Nein, damit ihr nicht zusammen mit dem Unkraut den Weizen ausreißt. Lasst beides wachsen bis zur Ernte und zur Zeit der Ernte werde ich den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune! Matthäus 13,24-30

Dabei ist das Unkraut letztlich auch nichts anderes als eine Blume. Sie blüht möglicherweise sogar prächtiger in Purpur und Violett als der eintönige Weizen. Aber nur der eintönige Weizen wird in die Scheune kommen. Pracht alleine genügt eben nicht. Sie können sogar Zeichen innerer Korruption sein. Die Frucht wächst woanders. Aber sie wächst! Und wie!

Zwischen Sauertopf und Sauerteig

Das Schlechte, das Unkraut kann also das viele Gute letztlich nicht bezwingen. Im Gegenteil: Das Gute wird sich letztlich durchsetzen. Es lohnt sich also nicht, sauertöpfisch sein eigenes Schicksal zu beklagen. Jesus selbst mahnt eher dazu, offensiv in die Welt hineinzuwirken:

Er sagte ihnen ein weiteres Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit dem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter drei Sea Mehl verbarg, bis das Ganze durchsäuert war. Matthäus 13,33

Um sich die Wirkung des Sauerteigs deutlich zu machen, muss man sich vergegenwärtigen, was ein Sea ist. Dabei handelt es sich um ein Volumenmaß, dass nach heutigen Vorstellungen etwa 7-13 Liter umfasst. Drei Sea Mehl entsprechen also einer Menge, die in fünf größere Eimer passt. Man wird viele Brote aus soviel Mehl backen können. Ein wenig Sauerteig, gerade eine Handvoll, genügt schon, um die große Menge Teig zu durchsäuern – das aber um den Preis, dass der Sauerteig im Ganzen aufgeht. Er ist nachher nicht mehr von dem zu trennen, das er durchsäuert hat. Um seine Wirkung zu entfalten, muss er sich selbst gewissermaßen verlieren.

Während nun die kirchlichen Sauertöpfe dasitzen, den bösen Zeitgeist für alles, sogar für die Verfehlungen frommer Kolarträger, verantwortlich machen, gemahnt das Gleichnis vom Sauerteig geradezu, sich in die Welt und die Zeit hinein zu veräußern, um sie zu durchdringen. Das ist Jesu Plan: In die Welt zu gehen, dort aus seinem Geist zu handeln und so zu verkünden, dass die Ohren der Welt die Botschaft zu hören vermögen. Dazu muss man bisweilen gar nicht die Bibel zitieren – wohl aber den Geist des Wortes Gottes. Es geht nämlich gar nicht um die Wortgestalt, sondern immer um ihren Gehalt, der das Handeln prägen soll. Das wäre dann wirklich geistlich. Das würde die Welt dann wirklich evangelisieren, d.h. wie Sauerteig durchdringen. Die Welt würde eine bessere sein am Tag der Ernte, wenn das Unkraut vom Weizen getrennt wird. Manch ein Sauertopf, der hinter hohen Kirchenmauern im Stuhlkreis der Ewigkeit frommen Phrasen frönt, wird dann wohl erschrecken, dass er die gefalteten Hände allzu sauber und frei vom Dreck jener Erde der Welt hat, die doch der Acker Gottes ist. Ihn wird dann die Mahnung Jesu mit voller Wortmacht treffen:

Wie nun das Unkraut aufgesammelt und im Feuer verbrannt wird, so wird es auch bei dem Ende der Welt sein: Der Menschensohn wird seine Engel aussenden und sie werden aus seinem Reich alle zusammenholen, die andere verführt und Gesetzloses getan haben, und werden sie in den Feuerofen werfen. Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein. Dann werden die Gerechten im Reich ihres Vaters wie die Sonne leuchten. Wer Ohren hat, der höre! Matthäus 13,30-43

Der Sauerteigplan

Wenn sich die kirchlichen Palaverrunden endlich selbst evangelisieren würden, würden sie den Sauerteigplan erkennen: Wer redet, muss auch nach dem handeln, was er redet, sonst glaubt man ihm nicht. Wer Menschen zu Jesus führen möchte, muss selbst unter die Menschen gehen. Wer dem folgt, der sich selbst in die Welt entäußert hat (vgl. Philipper 2,7), muss selbst in der Welt aufgehen in Leben, Reden und Handeln. So wird die Welt vom Evangelium durchdrungen. Dazu muss er sich selbst ehrlich machen – sonst wird er wie das Mutterkorn den ganzen Teig vergiften. Ihr wolltet einen „gemeinsamen Weg“-Weg gehen, um den Missbrauch aufzuklären – und jetzt kommt ihr bei frommen Phrasen an! Das soll man euch glauben? Macht euch ehrlich. Bekehrt euch. Reißt heraus, was euch vom Reich Gottes abhält. Sonst wird das nichts mit der Evangelisierung. Wer jetzt das Ohr am Puls der Welt hat, merkt jetzt schon, dass die Welt es riecht: Schöne Worte blähen bloß …

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Titelbild: Gärender Sauerteig (Thomas Bock)- Quelle: pixabay – lizenziert mit pixabay-Lizenz zur freien Nutzung

Bild 1: Roggen mit Mutterkorn (Burgkirsch) – Quelle: wikicommons – lizenziert als CC BY-SA 2.0

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1. Vgl. hierzu etwa https://www.derwesten.de/politik/bjoern-hoecke-afd-aeussert-sich-bei-twitter-zu-anschlag-von-halle-an-der-saale-und-wird-scharf-attackiert-halle-terror-id227325733.html [Stand: 12. Oktober 2019].
2. Vgl. hierzu Marc Röhlig, Auf National-Treffen der AfD: Björn Höcke spricht von Wölfen und Schafen – wie Goebbels, in: Bento, 24.6.2018, Quelle: https://www.bento.de/politik/afd-bjoern-hoecke-nutzt-goebbels-anspielung-beim-kyffhaeusertreffen-in-sachsen-anhalt-a-00000000-0003-0001-0000-000002539482 [Stand: 12. Oktober 2019].
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