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Disput·Ecclesiastica·Pastoralia

Worte sind Worte sind Worte Bekenntnisse eines Neutestamentlers

Dieser Beitrag wird persönlich. Er muss es werden, gerade weil es um die Sache geht, jene Sache Jesu, von der man einst in jungen Tagen sang, dass sie Begeisterte brauche. Aber dieser Gesang ist wie so vieles aus jungen Tagen dem Vergessen anheimgefallen. Heute singt man andere Lieder. Lieder sind eben oft auch nur ein Windhauch. Worte sowieso. Wer glaubt, das Worte aus sich heraus das bewirken, wovon sie reden, fällt einem magischen Missverständnis anheim. Ohne Zweifel eignet Worten eine performative Kraft. Sie wirken. Aber sie bewirken nicht immer das, was sie meinen. Auch Widerspruch ist eine Wirkung, den Worte auslösen können. Nur Zauberer bewirken durch Worte das, was sie sagen. Aber auch das ist letztlich Windhauch, pure Illusion, ein schöner Schein. Einzig Gott allein kann durch sein Wort wirken, was er will. Nicht umsonst mahnt der Prophet:

Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege – Spruch des HERRN. So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken. Denn wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt und nicht dorthin zurückkehrt, ohne die Erde zu tränken und sie zum Keimen und Sprossen zu bringen, dass sie dem Sämann Samen gibt und Brot zum Essen, so ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu mir zurück, ohne zu bewirken, was ich will, und das zu erreichen, wozu ich es ausgesandt habe. Jesaja 55,8-11

Das Wort und die Worte

Das Wort Gottes wirkt und bewirkt, was er will. Gott sei Dank. Ohne sein Wort wäre die Welt nicht. Deshalb kann Johannes sein Evangelium hymnisch jubelnd beginnen:

Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. Johannes 1,1-5

Das Wort, von dem hier die Rede ist, ist der λόγος (gesprochen: lógos). Dieses Wort wird im Singular benutzt. Gott spricht nicht viele Worte, geschweige denn Wörter, sondern ein Wort – und die Welt erlangt Sein. Dabei umfasst das griechische Wort λόγος ein ganzes Bedeutungsspektrum, zu dem das Sprechen und die Rede an sich, aber auch die Offenbarung, ein geschriebener Text und der Gegenstand, über den gesprochen wird umfasst. Im λόγος fallen gewissermaßen Zeichen und Bezeichnetes in eins. Deshalb kann es nicht verwundern, dass λόγος außerdem Vernunft, Verstand und die Überlegung bedeutet. Einen λόγος meint man nicht einfach; man spricht ihn nicht einfach aus. Wer einen λόγος spricht, muss wissen, dass er etwas schuldig bleibt, wenn das so Ausgesprochene nicht Wirklichkeit wird. Der λόγος verlangt deshalb immer nach Gestaltwerden. Nicht ohne Grund mündet der große hymnische Johannesprolog deshalb in das Bekenntnis:

Und das Wort (λόγος) ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. Johannes 1,14

„Das Wort“ – ὁ λόγος (gesprochen: ho lógos) – ist nicht irgendein Wort. Der Artikel definiert das Wort, von dem hier die Rede ist. Es ist nicht beliebig. Es ist das eine, einzigartige Wort, dieses und kein anderes. Es ist „der Logos“, der Fleisch wird. Für „Fleisch“ verwendet Johannes hier den sehr materialen Begriff σάρξ (gesprochen: sárx). Dieser Begriff kann nicht einfach wegspiritualisiert werden. Für Paulus ist er der Gegenbegriff des πνεῦμα (gesprochen: pneûma), der geistigen Existenz. Das Fleischliche ist vergänglich, irdisch, erdbehaftet, sterblich, materiell. Der λόγος wird also σάρξ. Was für ein Gegensatz – oder nicht?

Wohl kaum. Denn der göttliche λόγος kann nur im σάρξ wirken, Gestalt annehmen, wirklich werden. Worte, denen die Taten fehlen und die Gestaltlos bleiben, sind eben bloß Windhauch, wie schon der Prediger Kohelet feststellt:

Es gibt viele Worte, die nur den Windhauch vermehren. Was nützt das dem Menschen? Denn: Wer kann erkennen, was für den Menschen besser ist in seinem Leben, während der wenigen Tage seines Lebens voll Windhauch, die er wie ein Schatten verbringt? Und wer kann dem Menschen verkünden, was nach ihm unter der Sonne geschehen wird? Kohelet 6,11-12

Bemerkenswert ist hier, dass Kohelet von „Wörtern“, also im Plural spricht (hebräisch: דברים [gesprochen: devarim] bzw. in der Septuaginta auf griechisch: λογοί [gesprochen: logoí]). Das wird durch den Zusatz „viele“ sogar noch verstärkt. Die hohe Quantität von Worten entspricht also nicht einer Steigerung der Qualität. Im Gegenteil: Sie können unter Umständen nur den Windhauch vergrößern. Während das eine Wort Gottes Wirklichkeit werden lässt, entpuppen sich viele Worte oft nur als Sturm im Wasserglas. Sie wirken eben auch als Windhauch, der letztlich wirkungslos bleibt.

Es gilt das gesprochene Wort, vor allem aber das getane

Im Unterschied zu dem wirkmächtigen Wort Gottes und den vielen Windhauchwörtern, die Menschen oft machen, gibt es im biblischen, speziell im neutestamentlichen Kontext noch einen weiteren wichtigen Begriff, der sich auf das Wort Gottes beziehen kann: ρῆμα (gesprochen: rhêma). Er hat in der Regel dokumentarischen Charakter, bezeichnet also das, was einmal gesagt wurde. Das so Gesagte oder Ausgesprochene kann sich durchaus auch auf das Wort Gottes beziehen, wie es etwa in der Schrift bezeugt ist. Dann spricht beispielsweise der Evangelist Johannes von den τὰ ρήματα τοῦ θεοῦ (gesprochen: tà rhémata toû theoû):

Denn der, den Gott gesandt hat, spricht die Worte Gottes. Johannes 3,34

Das sagt Jesus über sich selbst als Zeuge dessen, was er im Himmel gehört und gesehen hat (vgl. Johannes 3,32). Ρήματα (rhémata) dokumentieren also oder geben wieder. Sie wirken nicht, wie der λογός. Gleichwohl ist Jesus selbst der fleischgewordene göttliche λόγος, der wirkt – in Wort und Tat. Auch sein Wort bewirkt, was er will. Deshalb kann seine Mutter wenige Absätze zuvor den Dienern bei der Hochzeit zu Kana in Galiläa sagen:

Was er euch sagt, das tut! Johannes 2,5

Dabei sagt Jesus nirgendwo, dass Wasser zu Wein werden solle. So wirkt sein Wort nicht. Er ist kein Zauberer, kein Illusionist, der durch ein wenig Abrakadabra und Hokuspokus Gott in irdene Gefäße zwingen würde. Das mag eine hybride Einbildung manch eines Landpfarrers sein, dass sein Wort so mächtig sei, dass es Gott selbst zwingen könne. Jesus aber ist kein schamanistischer Zauberer. Sein gesprochenes Wort gilt und wirkt, wenn es Tat wird:

Es standen dort sechs steinerne Wasserkrüge, wie es der Reinigungssitte der Juden entsprach; jeder fasste ungefähr hundert Liter. Jesus sagte zu den Dienern: Füllt die Krüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis zum Rand. Er sagte zu ihnen: Schöpft jetzt und bringt es dem, der für das Festmahl verantwortlich ist! Sie brachten es ihm. Dieser kostete das Wasser, das zu Wein geworden war. Er wusste nicht, woher der Wein kam; die Diener aber, die das Wasser geschöpft hatten, wussten es. Johannes 2,6-9

Das Wasser konnte nur zu Wein werden, weil die Diener taten, was Jesus sagte. Das Wort, der λόγος muss eben getan werden, er bedarf der Poiesis (griechisch: ποίησις). Nicht ohne Grund treten in dem Wort der Mutter Jesu beide Begriff in eine wirkmächtige Relation:
Was er euch sagt (λέγῃ – gesprochen: lége), das tut (ποιήσατε – gesprochen: poiésate)! Johannes 2,5

Worte wirken also nicht aus sich selbst. Das wäre magisch. Sie wirken erst, wenn sie Tat werden. Worte drängen zur Gestaltwerdung. Sonst bleiben sie Windhauch, hohle Versprechen, im schlimmsten Fall, wenn das Tun den gesprochenen Worten widerspricht gar Heuchelei.

Die Suche nach der Glaubwürdigkeit

Dieser Text ist persönlich. Er ist es deshalb, weil mich angesichts der viele Worte, die nicht nur, aber insbesondere viele, die in der Kirche Verantwortung tragen, eine größer und immer bleierner werdende Müdigkeit befällt. Ich bin der vielen tatenlosen Worte überdrüssig. Meist sind die Worte geschrieben, also noch nicht einmal performativ in Szene gesetzt, seltener gesprochen. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Im Oktober 2019 rang im Vatikan die sogenannte Amazonien-Synode um einen Weg, um der pastoralen Notlage in Lateinamerika zu begegnen. Man rang sich im Abschlussdokument1) zu einer Formulierung durch, die eher einem Revolutiönchen denn einer kreativ-forschen Neuorientierung ähnelte, als man empfahl, verheiratet Diakone möglicherweise und eventuell doch zu Priestern zu weihen. Im nachsynodalen Schreiben Queridas Amazonia2) hingegen wird zwar immer wieder poetisch die Situation in Lateinamerika eingefangen und insbesondere die Rollen der Frauen gepriesen. Am Status quo aber wird nichts geändert. Worte, Worte, viele Worte …

Ein weiteres Beispiel: In Deutschland wird in vielen, wenn mittlerweile nicht sogar allen (Erz-)Bistümern angesichts sinkender Zahlen hauptamtlicher Seelsorgerinnen und Seelsorger aber auch von Kirchenmitgliedern um Wege einer Pastoral der Zukunft gerungen. Dazu gehört auch die Frage, wer zukünftig Leitung übernehmen soll. Zwar wird schönfärberisch hier und da damit geworben, dass nun auch Laien Gemeinden leiten würden; dabei wird geflissentlich unterschlagen, dass das wohl nach Maßgabe des can. 517 §2 CIC 1983 geschieht, also auch dort ein moderierender Pfarrer letztlich das Sagen hat. Die Instruktion „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde“3) vom 20.7.2020 setzt aber selbst der zartesten Illusion Grenzen, dass sich auch angesichts sich unabwendbar verändernder Rahmenbedingungen an der priesterzentrierten Struktur der Kirche etwas ändern könnte. Worte, Worte, viele Worte …
Mit Blick auf den ökumenischen Kirchentag, der vom 12.-16. Mai 2021 in Frankfurt stattfinden soll, hat der ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen das Votum „Gemeinsam am Tisch des Herrn“4) erarbeitet, in dem sie sich für eine „Teilhabe an den Feiern von Abendmahl/Eucharistie in Achtung der jeweiligen liturgischen Traditionen“5) aussprechen. Die Argumentation, die zu diesem Votum führt, mutet freilich des Öfteren an, das erkennbare Differenzen dann doch eher stark geglättet werden, etwa wenn davon die Rede ist, dass es bereits jetzt schon grundlegend amtstheologische Übereinstimmungen gäbe6). Das darf mit Blick auf die Forderungen, die bereits das sogenannte Lima-Papier 19827) formuliert wurden, bezweifelt werden. Dort heißt es:

„Um gegenseitige Anerkennung zu erreichen, sind von verschiedenen Kirchen verschiedene Schritte erforderlich. Zum Beispiel:
Kirchen, die die bischöfliche Sukzession bewahrt haben, werden gebeten, sowohl den apostolischen Inhalt des ordinierten Amtes in Kirchen anzuerkennen, die eine solche Sukzession nicht bewahrt haben, als auch die Existenz eines Amtes der episkopé in verschiedenen Formen in diesen Kirchen.
Kirchen, ohne bischöfliche Sukzession und in Treue zum apostolischen Glauben und seiner Sendung lebend, haben ein Amt des Wortes und der Sakramente, wie es durch den Glauben, die Praxis und das Leben dieser Kirchen klar bezeugt wird. Diese Kirchen werden gebeten, zu erkennen, dass die Kontinuität mit der Kirche der Apostel durch die sukzessive Handauflegung der Bischöfe tiefen Ausdruck findet und dass, obwohl ihnen vielleicht die Kontinuität der apostolischen Tradition nicht fehlen mag, dieses Zeichen jene Kontinuität stärken und vertiefen wird. Sie müssen vielleicht das Zeichen der bischöflichen Sukzession wieder neu entdecken.“8)

Trotz vieler gemeinsamer Erklärungen der römisch-katholischen Kirche mit den lutherischen Kirchen – die reformierten Kirchen haben an diesen Erklärungen nie mitgearbeitet, vielleicht auch, weil hier für sie und ihr Amtsverständnis die eigene Identität betreffende Positionen unmittelbar betroffen sind – ist in dieser Frage nicht erkennbar, dass es einen relevanten Fortschritt hier wie dort gegeben hätte. Die Aufgabenstellung existiert also weiter. Mehr noch: Die vermeintlichen interkonfessionellen amtstheologischen Übereinstimmungen wurden durch ein Schreiben der vatikanischen Glaubenskongregation im September 2020 zurückgewiesen9). Worte, Worte, viele Worte …

Und noch ein Beispiel, dem noch viele andere folgen könnten: In einer Predigt, die er am 4. Oktober 2020 hält, markiert der Limburger Regens Dr. Christof May verschiedene Punkte, an denen er leidet. Er nennt die Unfähigkeit der Kirche wiederverheiratet Geschiedenen die Sakramente zu spenden, homosexuellen Beziehungen den Segen zu geben und Frauen gleiche Rechte und eben nur gleiche Würde zu geben10). Allein: Er bleibt als Regens ein Gefangener seines inneren Konfliktes. Seine Worte bleiben Worte, Worte, viele Worte … wird er ihnen Taten folgen lassen? Taten wie die von Pater Siegfried Modenbach, der ein lesbisches Paar segnete und sich nun natürlich massiver Kritik ausgesetzt sieht11)?

Splitter und Balken

Worte, Worte, viele Worte werden gemacht – Worte, die Windhauch bleiben, ein Stürmchen im Wasserglas, oft wohlfeil gesprochen, Worte, die Beifall bekommen, aber meist wirkungslos bleiben, weil sie nicht Gestalt werden. Worte brauchen Taten, damit sie des Glaubens würdig werden. Was soll man davon halten, wenn Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Fratelli tutti“12) zwar festellt,

„dass tatsächlich die Menschenrechte nicht für alle gleich gelten.“13)

und später sogar fragt:

„Könnte es anderenfalls nicht vielleicht geschehen, dass die grundlegenden Menschenrechte, hinter die man heute nicht zurückgehen kann, von den jeweiligen Mächtigen verwehrt werden, nachdem sie den ‚Konsens‘ einer eingeschläferten und eingeschüchterten Bevölkerung erlangt haben?“14)

gleichzeitig der Vatikan aber bis heute die allgemeine Erklärung der Menschenrechte in der Menschenrechtscharta der UNO nicht unterschrieben hat und damit de facto ablehnt. Widersprechen hier die Worte nicht sogar den Taten? Gilt das nicht auch für Erzbischöfe, die nichts geahnt, aber doch viele gewusst haben müssen15) oder für Kardinäle, die sich statt mit ihrem Leben für das Wort Gottes einzustehen, gegenseitig mit Intrigen überziehen16)? Worte, Worte, viele Worte …

So macht sich die Kirche nicht nur angreifbar. Sie düngt sogar das Feld mit dem Unkraut der Unglaubwürdigkeit, weil Worte und Taten divergent sind. Kennen die, die in der Kirche Verantwortung tragen die ρήματα ihres Herrn, die Worte Jesu, wie sie in der Schrift bezeugt sind, wirklich so schlecht? Er führt es selbst doch im Lukasevangelium überdeutlich aus, als er – wieder einmal – in Gleichnissen zu seinen Jüngerinnen und Jüngern sprach:

Kann etwa ein Blinder einen Blinden führen? Werden nicht beide in eine Grube fallen? Ein Jünger steht nicht über dem Meister; jeder aber, der alles gelernt hat, wird wie sein Meister sein. Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht? Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Bruder, lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen!, während du selbst den Balken in deinem Auge nicht siehst? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; dann kannst du zusehen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen. Es gibt keinen guten Baum, der schlechte Früchte bringt, noch einen schlechten Baum, der gute Früchte bringt. Denn jeden Baum erkennt man an seinen Früchten: Von den Disteln pflückt man keine Feigen und vom Dornstrauch erntet man keine Trauben. Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatz seines Herzens das Gute hervor und der böse Mensch bringt aus dem bösen das Böse hervor. Denn wovon das Herz überfließt, davon spricht sein Mund. Was sagt ihr zu mir: Herr! Herr! und tut nicht, was ich sage? Lukas 6,39-46

Viele Worte machen kann jeder – und jede sicher auch! Der Welt im Brustton überzeugter Selbstüberhöhung die Splitter vorhalten, während man die eigenen Balken vor dem Kopf nicht wahrnimmt, ist der erste Schritt in die eigene Selbstverzwergung. Nicht der Glaube verdunstet in der Welt, sondern die Glaubwürdigkeit der Kirche. Dafür tragen vor allem diejenigen die Verantwortung, die in der Kirche das Sagen haben. Das Problem besteht wohl darin, dass man den Worten Worte, viele Worte folgen lässt, aber selten eben Taten. So weht nicht der Geist, sondern haucht der Wind. Wenn das so weitergeht, wird man wohl mit dem Psalmisten klagen müssen:

Wie Gras sind die Tage des Menschen, er blüht wie die Blume des Feldes. Fährt der Wind darüber, ist sie dahin; der Ort, wo sie stand, weiß nichts mehr von ihr. Psalm 103,15-16

Erprobung

Dieser Text ist ein Bekenntnis – ein persönliches dazu. Ich bin müde der viele Worte, die man lesen, hören und mittlerweile auch ansehen kann, ohne dass es Taten gäbe. Die große Verheißung Jesu im Johannesevangelium lautet:

Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben. Johannes 10,10b

Das Leben in Fülle ist die Verheißung Jesu für die Menschen. Ein Leben ohne Joch und Lasten (vgl. Matthäus 11,28-30). Die Verheißung eines Lebens in Fülle wird zur Aufgabe für die Jüngerinnen und Jünger Jesu. Deshalb ist die Verheißung im Johannesevangelium wohl gleichzeitig mit einer Warnung verbunden:

Der Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten; ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben. Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen, lässt die Schafe im Stich und flieht; und der Wolf reißt sie und zerstreut sie. Er flieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm an den Schafen nichts liegt. Johannes 10,10-13

Was das mit Worten zu tun hat? Dazu hilft ein Blick in das Matthäusevangelium:

Was meint ihr? Ein Mann hatte zwei Söhne. Er ging zum ersten und sagte: Mein Kind, geh und arbeite heute im Weinberg! Er antwortete: Ich will nicht. Später aber reute es ihn und er ging hinaus. Da wandte er sich an den zweiten und sagte zu ihm dasselbe. Dieser antwortete: Ja, Herr – und ging nicht hin. Wer von den beiden hat den Willen seines Vaters erfüllt? Sie antworteten: Der erste. Da sagte Jesus zu ihnen: Amen, ich sage euch: Die Zöllner und die Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr. Matthäus 21,38-31

Worte, die nicht zur Tat werden, richten den, der sie spricht. Wer so redet, ob männlich oder weiblich, produziert Windhauch, Fusel, Ausdünstungen. Er redet sich vor Gott um Kopf und Kragen und spricht sich das Gericht. Worte wollen Tat werden. Worte müssen Tat werden, damit sie des Glaubens würdig sind.

Effata! – öffne dich

Ich bekenne, dass die ρήματα τοῦ θεοῦ (gesprochen: rhémata toû theoû), die Worte Gottes mir heilig sind. Ich bekenne, dass sie Gestalt werden sollen in mir. Man muss ein Narr sein, wenn man so handelt, mag man jetzt meinen. So möge die Narrenrede beginnen: Weil mich das Wort Gottes lehrt, dass ich den Nächsten und den Feind lieben soll, schicke ich grundsätzlich niemanden weg, der an meine Tür klopft. Ich versuche, dem Libanesen, der Christ geworden ist und nun in wirtschaftlich in Not gerät; ich versuche, dem Syrer zu helfen, der nach seiner Taufe von der Familie verstoßen wurde und nun einfach neue Möbel braucht. Ich versuche, den aus dem Nahen Osten geflohenen Christen eine neue Heimat zu geben. Der Frau, die sich von ihrem Mann getrennt hat, weil er sie schlägt, schenke ich mein Ohr und versuche ihr Mut zu machen, für ein Leben, in der Gott die Mächtigen vom Thron stürzt und die Niedrigen erhöht (vgl. Lukas 1,52). Den Eltern, die während der Schwangerschaft erfahren, dass ihr Kind aufgrund eines Gendefektes wahrscheinlich nicht lebend zur Welt kommen wird, verspreche ich, sie auch dann nicht fallen zu lassen, wenn sie sich für einen Abort entscheiden – auch wenn ich bekenne, dass meine eigene Haltung anders ist. Es ist nicht an uns zu richten, wenn selbst Jesus die Ehebrecherin nicht zu verurteilen und ihr doch mit auf den Weg gibt, von jetzt an nicht mehr zu sündigen (vgl. Johannes 8,11). Mein Herz schlägt für die Behinderten, für die ich mich mit Herz und Hand auch ehrenamtlich engagiere. Ich erlebe es jeden Tag im ganz privaten Alltag, wie Gottes schöpferische Macht auch in ihnen pulsiert. Jede und jeder Obdachlose ist mir heilig, weil auch sie Tempel Gottes sind. Ich kann an keiner und keinem von ihnen achtlos vorübergehen. Ich tue mich manchmal schwer, sie zu mögen; das muss ich auch nicht, denn ich muss sie einfach lieben. Wenn sie mir die Zeit stehlen wollen, schenke ich sie ihnen einfach – in dem Bewusstsein, dass ich möglicherweise, ohne es zu wissen, Engel beherbergen könnte (vgl. Hebräer 13,2). Vor allem aber ergreife ich immer wieder, ob man es nun hören will oder nicht, das Wort, um auch auf das aufmerksam zu machen, was in der Welt, vor allem aber in der Kirche des Glaubens nicht würdig ist – wissend, dass jeder der mahnt sich seiner eigenen Mahnung stellen muss. Dem Nichttun des Wortes ins Angesicht zu widerstehen, wie Paulus es dem Petrus gegenüber tat (vgl. Galater 2,11-21), ist geradezu eine geschwisterliche Pflicht unter Christenmenschen, auch und gerade, wenn es sich um Autoritäten handelt. Es steht doch geschrieben:

Verkünde das Wort, tritt auf, ob gelegen oder ungelegen, überführe, weise zurecht, ermahne, in aller Geduld und Belehrung! Denn es wird eine Zeit kommen, in der man die gesunde Lehre nicht erträgt, sondern sich nach eigenen Begierden Lehrer sucht, um sich die Ohren zu kitzeln; und man wird von der Wahrheit das Ohr abwenden, sich dagegen Fabeleien zuwenden. Du aber sei in allem nüchtern, ertrage das Leiden, verrichte dein Werk als Verkünder des Evangeliums, erfülle treu deinen Dienst! 2 Timotheus 4,2-4

Hier stehe ich, ich kann nicht anders

Ich weiß natürlich, dass der, der die Nase so in den Wind hält, sich nicht wundern darf, wenn der Wind weht. Die Glaubwürdigkeit aber verlangt, dass Worten auch Taten folgen. Niemand hat gesagt, das Christsein einfach sei. Wir glauben schließlich an einen am Kreuz Gescheiterten, dessen Wahrheit erst posthum in der Auferstehung offenbar wurde.

Dieser Text ist persönlich. Das ist vielleicht ungewöhnlich für einen Theologen, kann ein solches Bekenntnis doch schnell als Narrheit dargestellt werden. Und in der Tat: Wer auf das Gebaren vieler Verantwortlicher in der Kirche schaut, dem mag die Frage, wie man den Glauben glaubwürdig verkünden soll, wenn die Taten fehlen, als Narretei erscheinen – eine Narretei freilich mit biblischem Sujet:

Der Glaube für sich allein ist tot, wenn er nicht Werke vorzuweisen hat. Jakobus 2,17

Deshalb muss man – wenigstens hin und wieder – sicher Worte machen. Es dürfen auch viele sein, wenn den Worten Taten folgen. Taten sind getane Worte. Sie gehören zur Verkündigung dessen, der das tatgewordene Wort Gottes ist, dazu. Als Narr weiß ich, dass ich natürlich immer wieder fehlgehe, in Sackgassen laufe und hin und wieder auch den richtigen Weg finde. Ich teile darin das Schicksal des Sohnes, der das Erbteil des Vaters in die Welt trägt, wissend, dass der Vater ihm nicht die Tür weisen wird. Und gerade deshalb feiere ich das Leben, wartend, dass auch die anderen Brüder und Schwestern kommen. Die aber stehen oft miesepetrig draußen vor der Tür und machen Worte, Worte, viele Worte … Vielleicht reizt meine Narretei hier zum Widerspruch. Dann hätte es schon etwas bewirkt. Vielleicht reizt mein Bekenntnis aber auch zur Zustimmung. Dann bemüht euch, liebe Leserinnen und Leser, euren Worten Gestalt zu geben. Tut, was ihr sagt. Vielleicht macht ihr das aber schon längst – Gott sei Dank! Ich bemühe mich jedenfalls, jeden Tag und jede Stunde. Und wenn ich es nicht schaffe? Dann frage ich mich, warum nicht. Was hindert mich und was muss weichen, damit das Wort zur Tat werden kann. Vor Gott, dessen Wort, dessen λόγος uns alle aus der Finsternis ins Licht und ins Leben rief, will ich einst sagen können: Ich habe mich wenigstens bemüht … ich weiß, dass es der Mühe wert gewesen sein wird. Ich werde nicht warten, bis einer der Oberen mir erlaubt, Zeugnis zu geben von den Worten Gottes, den ρήματα τοῦ θεοῦ. Den Auftrag habe ich doch längst erhalten, als der Schöpfer mir wie anderen Ohren und Mund öffnete, damit sein Wort gehört und wieder verkündet wird. Verkündigung aber ist ein Tatwort. Man spricht eben nie nur mit dem Mund, sondern immer auch mit Händen und Füßen und hoffentlich mit leidenschaftlichem Herzen – so wie es auch jener Paulus den Korinthern sagt, der dem Petrus in Antiochien ins Angesicht hinein widerstand, als der seinen Worten eben keine Taten folgen ließ (siehe Galater 2,11):

Unser Mund hat sich für euch aufgetan, Korinther, unser Herz ist weit geworden. In uns ist es nicht zu eng für euch; eng ist es in eurem Herzen. Macht doch als Antwort darauf – ich rede wie zu meinen Kindern – auch euer Herz weit! 2 Korinther 6,11-13

Nun aber sind der Worte genug gewechselt. Es waren Worte, Worte, viele Worte … ob sie Windhauch werden oder nicht? Ich habe sie jetzt zu tun …

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Bildnachweis

Titelbild: Alhabetical Jumble (Christian Schnettelker) – Quelle: flickr – lizenziert als CC BY 2.0.

Video: PR im Namen Gottes (WDR Lokalzeit Bergisch Land – 9.11.2017) – Quelle: Youtube – alle Rechte vorbehalten (veröffentlicht mit freundlicher Duldung des WDR).

Einzelnachweis   [ + ]

1. Quelle: https://www.misereor.de/fileadmin/publikationen/schlussdokument-amazonien-synode.pdf [Stand: 11. Oktober 2020].
2. Quelle: https://www.dbk-shop.de/index.php?page=product&info=30378&dl_media=32779 [Stand: 11. Oktober 2020].
3. Quelle: https://dbk.de/nc/presse/aktuelles/meldung/vatikanische-instruktion-die-pastorale-umkehr-der-pfarrgemeinde/detail/ [Stand: 11. Oktober 2020].
4. Quelle: https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/fb2/zentraleseiten/aktuelles/gemeinsam_am_tisch_des_herrn._ein_votum_des___kumenischen_arbeitskreises_evangelischer_und_katholischer_theologen.pdf [Stand: 11. Oktober 2020].
5. „Gemeinsam am Tisch des Herrn“, Votum des Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen, S. 55 – https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/fb2/zentraleseiten/aktuelles/gemeinsam_am_tisch_des_herrn._ein_votum_des___kumenischen_arbeitskreises_evangelischer_und_katholischer_theologen.pdf [Stand: 11. Oktober 2020].
6. Vgl. hierzu „Gemeinsam am Tisch des Herrn“, Votum des Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen, S. 49 – https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/fb2/zentraleseiten/aktuelles/gemeinsam_am_tisch_des_herrn._ein_votum_des___kumenischen_arbeitskreises_evangelischer_und_katholischer_theologen.pdf [Stand: 11. Oktober 2020].
7. Quelle: https://www.theologische-links.de/downloads/oekumene/Lima-Papier.pdf [Stand: 11. Oktober 2020].
8. Lima-Papier von 1982, Zusammenwachsen in „Taufe, Eucharistie und Amt“, Nr. 53 – Quelle: https://www.theologische-links.de/downloads/oekumene/Lima-Papier.pdf [Stand: 11. Oktober 2020].
Vgl. hierzu https://www.katholisch.de/artikel/26940-vatikan-erteilt-einladungen-zu-mahlgemeinschaft-absage [Stand: 11. Oktober 2020].
9. Vgl. hierzu https://www.katholisch.de/artikel/26940-vatikan-erteilt-einladungen-zu-mahlgemeinschaft-absage [Stand: 11. Oktober 2020].
10. Siehe hierzu den Mitschnitt der Predigt von Dr. Christof May vom 4.10.2020 bei Youtube (6.10.2020): https://www.youtube.com/watch?v=Bt2CgQCDpB8&feature=youtu.be&fbclid=IwAR04qdXb4Ls2Pzez0_9vIdXwc0JTLN7sw5r-tFPBTfW46_-f-mR1NRCPing [Stand: 12. Oktober 2020].
11. Vgl. hierzu Hartmut Zimmermann, Lesbisches Paar heiratet trotz Abfuhr vom Bistum Fulda – nach Umweg zum kirchlichen Segen gibt es Kritik. Pater Modenbach feiert Segensfeier, Fuldaer Zeitung online, 10.10.2020 – https://www.fuldaerzeitung.de/huenfelder-land/fulda-bistum-paar-abfuhr-kirche-trauung-kritik-huenfeld-pfarrer-pater-siegfried-modenbach-90064925.html [Stand: 11. Oktober 2020].
12. Quelle: http://www.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20201003_enciclica-fratelli-tutti.html [Stand: 11. Oktober 2020].
13. Papst Franziskus, Enzyklika „Fratelli tutti“ über die Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft, Vatikan 2020, Nr. 22 – Quelle: http://www.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20201003_enciclica-fratelli-tutti.html [Stand: 11. Oktober 2020].
14. Papst Franziskus, Enzyklika „Fratelli tutti“ über die Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft, Vatikan 2020, Nr. 209 – Quelle: http://www.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20201003_enciclica-fratelli-tutti.html [Stand: 11. Oktober 2020].
15. Vgl. hierzu Raoul Löbbert und Georg Löwisch im Gespräch mit Stefan Heße, Haben Sie Angst um Ihr Amt?, Zeit online (Christ&Welt), 23.9.2020 – Quelle: https://www.zeit.de/2020/40/stefan-hesse-missbrauchsfaelle-vertuschung-katholische-kirche/komplettansicht [Stand: 12. Oktober 2020] und Raoul Löbbert/Georg Löwisch, Meisners Wahrheit, Zeit online (Christ&Welt), 2.10.2020 – Quelle: https://www.zeit.de/2020/41/missbrauch-katholische-kirche-joachim-kardinal-meisner [Stand: 12. Oktober 2020].
16. Vgl. hierzu Evelyn Finger/Marco Ansaldo, Rivalen unter sich, Zeit online, 7.10.2020 – Quelle: https://www.zeit.de/2020/42/missbrauch-katholische-kirche-giovanni-angelo-becciu-george-pell [Stand: 12. Oktober 2020].
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