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Sie wollen einfach nicht schweigen. Allen Versuchen, die Endgültigkeit einer Entscheidung zu betonen, zum Trotz, will das Nachdenken und Fordern einfach nicht aufhören. Es sind auch gar nicht nur die Frauen, die gar nicht erst anfangen wollen, zu schweigen. Auch im theologischen Diskurs hört das Rumoren und Denken einfach nicht auf. Fragen nach dem Zölibat oder der Weihe von Frauen zum Priesteramt werden eifrig weiter diskutiert und debattiert. Es ist, als habe sich seit 1976 nicht allzu viel verändert, als die Glaubenskongregation unter ihrem damaligen Präfekten Franjo Kardinal Šeper die Erklärung „Inter insigniores“ zur Frage der Zulassung von Frauen zum Priesteramt1) veröffentlichte und als Anlass unter anderem angab:
„Man sagt und schreibt ferner mitunter in Büchern oder Zeitschriften, dass einige Frauen in sich eine Berufung zum Priestertum verspüren. Ein solches Empfinden, so edel und verständlich es auch sein mag, stellt noch keine Berufung dar. Diese lässt sich nämlich nicht auf eine persönliche Neigung reduzieren, die rein subjektiv bleiben könnte. Da das Priestertum ein besonderes Amt ist, von dem die Kirche die Verantwortung und Verwaltung empfangen hat, ist hier die Bestätigung durch die Kirche unerlässlich: diese bildet einen wesentlichen Bestandteil der Berufung; denn Christus erwählte die, ‚die er wollte‘ (Mk 3, 13).“2)
An dem Befund ist sicher richtig, dass ein bloßes „Fühlen“ von Berufung noch kein Zeichen echter Berufung ist. Gerne wird übersehen, dass Berufung immer krass konkret und keine Befindlichkeit ist. So beruft letztlich wohl der weihende Bischof zur Weihe, was zu der Frage führt, ob die ganzen Institutionen für Berufungspastoral auf dem richtigen Kurs sind, wenn sie für eine Berufung werben, die doch eigentlich von höherer Stelle erfolgen sollte3). Das Recht, über Berufungen zu richten, obliegt also nicht den sich selbst berufen Fühlenden, seien es Männer, seien es Frauen, sondern dem weihenden Bischof. Ohne dessen Handauflegung und Gebet wird nichts geschehen. Da kann die innere Stimme sich von Gott gerufen fühlen, soviel sie will – einmal abgesehen davon, dass solches Befinden in der Tat immer auch autosuggestiv sein kann. Wer kann schon wirklich sicher sein, ob die inneren Gewissheiten vom Heiligen Geist stammen oder es doch bloß der eigene Vogel ist, der da ordentlich zwitschert … Soweit dürfte der Befund Kardinal Šepers durchaus anthropologisch verifizierbar sein, verifizierbarer übrigens, als es manchem fröhlich Berufenen und durch die Weihe ontologisch Überhöhten lieb sein dürfte. Auch für Geweihte gilt schließlich, dass die rein subjektive Neigung eben rein subjektiv bleibt. Der Mensch bleibt auch nach der Weihe vor allem eines: ein Mensch!
Das Rauschen und Rumoren geht weiter
Trotz der vermeintlich eindeutigen Auskunft wollen das Reden und Schreiben in Büchern und Zeitschriften auch nach 1976 in diesen und anderen Fragen einfach nicht aufhören. Das Volk wollte einfach nicht hören und schweigen. Deshalb musste Papst Johannes Paul II 1994 höchstpersönlich mit dem Apostolischen Schreiben „Ordinatio sacerdotalis“4) nachlegen – einer Verlautbarung, über die Kirchenrechtlerinnen und -rechtler in Debatten, Zeitschriften und Büchern seitdem streiten, ob sie nun unfehlbar sei oder nicht, vielleicht aber doch als definitive Äußerung des authentischen Lehramtes wenigstens nah dran an der Unfehlbarkeit stehe. Wie auch immer: Papst Johannes Paul II nimmt ausdrücklich Bezug auf die Erklärung „Inter insigniores“ von 1976, die die Glaubenskongregation seinerzeit im Auftrag von Papst Paul VI verfasst hatte, wenn er ausführt:
„Die Erklärung wiederholt und erläutert die von Paul VI. dargelegten Gründe dieser Lehre, wobei sie schlussfolgert, dass die Kirche für sich nicht die Vollmacht in Anspruch nimmt, ‚Frauen zur Priesterweihe zuzulassen‘.“5)
Papst Johannes Paul II formuliert vorsichtiger als es viele, die sich auf ihn berufen, tun. Er schreibt, dass die Kirche für sich nicht die Vollmacht in Anspruch nehmen, Frauen zur Weihe zuzulassen. Daraus wird auf der Seite derer, die sich gegen die Weihe von Frauen zu Priesterinnen aussprechen, schnell und flugs eine Untersagung, dass die Kirche diese Vollmacht überhaupt habe. Das wird dann meist damit – und hier wieder in korrektem Anschluss an „Ordination sacerdotalis“ – mit Gottes „ewigem Plan“ begründet:
„In der Tat bekunden die Evangelien und die Apostelgeschichte, dass diese Berufung gemäß dem ewigen Plan Gottes erfolgte: Christus erwählte die, die er wollte (vgl. Mk 3,13-14; Joh 6,70), und er tat das zusammen mit dem Vater ‚durch den Heiligen Geis‘” (Apg 1,2), nachdem er die Nacht im Gebet verbracht hatte (vgl. Lk 6,12). Darum hat die Kirche bei der Zulassung zum Amtspriestertum stets als feststehende Norm die Vorgehensweise ihres Herrn bei der Erwählung der zwölf Männer anerkannt, die er als Grundsteine seiner Kirche gelegt hatte (vgl. Offb 21,14). Sie übernahmen in der Tat nicht nur eine Funktion, die dann von jedem beliebigen Mitglied der Kirche hätte ausgeübt werden können, sondern sie wurden in besonderer Weise und zutiefst mit der Sendung des fleischgewordenen Wortes selbst verbunden (vgl. Mt 10,1.7-8; 28,16-20; Mk 3,13-15; 16,14-15). Die Apostel taten das gleiche, als sie Mitarbeiter wählten, die ihnen in ihrem Amt nachfolgen sollten. In diese Wahl waren auch jene eingeschlossen, die durch die Zeiten der Geschichte der Kirche hindurch die Sendung der Apostel fortführen sollten, Christus, den Herrn und Erlöser, zu vergegenwärtigen.“6)
Über diese argumentativen Linien ist schon viel geredet und in Zeitschriften und Büchern geschrieben worden. Abgesehen davon, dass Jesus Apostel und keine Priester erwählt hat, die Frage der Weitergabe der Vollmachten durch Handauflegung und Gebet erst in nachösterlicher Zeit geklärt werden musste und nicht auf Jesus selbst zurückgeht, und nach diesem Argumentationsschema auch definitiv erklärt werden müsste, dass nur galiläische Juden mit einer vorgängigen Ausbildung zum Fischer, Handwerker oder ähnlichem geweiht werden dürften, soll der ewigen Redundanz der nicht enden wollenden Schweigeverweigerung keine weitere laut quietschende Drehung hinzugefügt werden. Dazu ist, so hat man den Eindruck, von allen Seiten in Pro und Contra schon alles gesagt worden. Die Frage wäre entscheidungsreif, wenn – ja, wenn die Kirche – oder besser: die, die in der Kirche Verantwortung zu haben scheinen, endlich die Vollmacht in Anspruch nähmen, die Frage zu entscheiden. Das aber wird, so oder so, bis auf den heutigen Tag in klug strategischer Verweigerung, den argumentativen Weg der Erkenntnis aus dem Wort Gottes wirklich bis zum Ende zu gehen, mit der rhetorischen Wucht wirklichkeitshoffender Wiederholungen behauptet: Die Kirche hat keine Vollmacht, in dieser Frage zu entscheiden. Hat sie die wirklich nicht? Wie viele Fragen müssten dann offen bleiben? Müsste sie nicht schweigen zu Fragen der Sexualmoral, über die sich der irdische Jesus nicht wirklich äußert. Müsste sie nicht in vielen heute wichtigen ethischen Fragen schweigen, weil es dort keine Worte des Herrn gibt? Müsste die Kirche dann nicht auch zu vielen Fragen schweigen, die sich aus einem technischen Fortschritt ergeben, den der Mensch Jesus noch gar nicht kennen konnte, wenngleich die göttliche Natur sie mit Sicherheit von Ewigkeiten und Äonen her schon weiß. Wusste aber die menschliche Natur Jesu von der göttlichen? Fragen über Fragen, die sich allein schon aus dem biblischen Befund ergeben, warum Jesus beten und mit Gott Zwiesprache halten muss, wenn er, der Sohn und der Vater doch eins sind (vgl. Johannes 10,30). Diese Frage nach dem Selbstbewusstsein Jesu muss, so spannend sie ist, nach allem, was derzeit über Jesus gewusst werden kann, offen bleiben … Nicht so hingegen die Frage nach der Vollmacht, Fragen zu beantworten, auf die der irdische Jesus keine Antworten gegeben hat.
Motu proprio!
Schon wenige Jahre nach Kreuzestod und Auferstehung Jesu sehen sich die frühen Christen mit Fragen konfrontiert, auf die es Antworten zu finden gilt. Das ist Theologie: Aus dem, was man sicher wissen kann, Folgerungen und Konsequenzen für neue Fragen zu ziehen. Fragen drängen auf Antworten. Die aber können in eine ganz neue Richtung weisen. Allein der Beginn der Heidenmission – ausgehend von der antiochenischen Gemeinde – zeigt, wie kreativ die frühen christlichen Theologen – und mit Sicherheit auch Theologinnen (man denke allein an die vielen Frauen, die in den Grußlisten des Paulus erwähnt werden) hier waren. Wie sonst könnte aus einer eher innerjüdischen Gruppe eine auf die ganze Welt gerichtete Bewegung werden. Auf Jesus wird man sich bei der Frage der Verkündigung an die Heiden so einfach nicht berufen können, erscheint dieser Jesus doch selbst eher heidenkritisch, wenn er etwa der syrophönizischen Frau auf deren Bitte, er möge ihre Tochter heilen, entgegnet:
Lasst zuerst die Kinder satt werden; denn es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den kleinen Hunden vorzuwerfen.
Auch bezüglich der Bitte des heidnischen Hauptmanns von Kapharnaum um Heilung seines Dieners muss man ihn – zumindest in der lukanischen Version – gut zuredend motivieren:
Sie gingen zu Jesus und baten ihn inständig. Sie sagten: Er verdient es, dass du seine Bitte erfüllst; denn er liebt unser Volk und hat uns die Synagoge gebaut.
Die heidenkritische Skepsis wird Jesus erst nach und nach ablegen, ohne sich in seiner irdischen Zeit unmittelbar den Heiden zuzuwenden. Wie also kommt es, dass man in Antiochien beginnt, Heiden zu taufen, ohne sie vorher zu beschneiden? Woher nimmt man sich diese Vollmacht? Das Markusevangelium mit seiner Weisung
Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung! Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verurteilt werden.
war ja noch nicht geschrieben. Nicht ohne Grund gab es deshalb um die Heidentaufe wohl einen nicht geringen Konflikt mit denen, die ihre Vollmacht unmittelbar von Jesus erhalten hatten und in Jerusalem offenkundig über die reine Lehre wachten – ein Konflikt, der schließlich im sogenannten Apostelkonzil münden wird (vgl. Apostelgeschichte 15,1-35 sowie Galater 2,1-10). Spätestens hier wird der antiochenische Weg zumindest formal anerkannt (das Diskutieren, Raunen und Rumoren wird aber – so zeigt nicht nur der antiochenische Konflikt zwischen Paulus und Petrus [vgl. Galater 2,11-21] – noch lange weitergehen). Dieser Weg aber kam durch theologische Arbeit zustande: Wenn dieser Jesus von Nazareth am Kreuz nach der Thora wie ein Gottverfluchter stirbt (vgl. Deuteronomium 21,23) und in der Auferstehung von eben diesem Gott doch gerettet wird, dann gibt Gott selbst das Zeichen, dass die Befolgung der Thora nicht mehr allein gerecht machend ist. Nun also können auch Nichtjuden, Heiden eben, in das Volk Gottes – auch ohne des in der Thora vorgesehen Bundeszeichen der Beschneidung – eingegliedert werden. Welch eine theologische Selbstermächtigung. Welch eine Ertüchtigung aus eigenem Antrieb – motu proprio! – die nächsten richtigen Schritte zu gehen, um das Werk Jesu weiterzuführen – mit oder ohne konkretes Wort des Herrn!
(K)ein Wort des Herrn
Genau dieser Hinweis begegnet bei keinem Geringeren als Paulus selbst. Er sieht sich in seinen Gemeinden immer wieder herausgefordert, auf ganz konkrete und meist auch höchst praktische Fragen konkrete und eben auch höchst praktische Antworten zu geben. Für schwurbelige Hinweise auf geistliche Prozesse fehlt ihm persönlich da offenkundig allein schon deshalb die Zeit, weil er in einem Bewusstsein der stets möglichen Wiederkunft des Auferstandenen lebt. Da muss schnell entschieden und ebenso schnell gehandelt werden. Diese Vollmacht zur Entscheidung nimmt er sich einfach. Dabei hilft ihm bisweilen, dass er sich auf Jesus selbst berufen kann – er hat „ein Wort des Herrn“, wie etwa im 1. Thessalonicherbrief. Dort kam die Frage nach der Auferstehung derer auf, die schon vor der erhofften Wiederkunft Christi gestorben waren. Hier kann Paulus sich offenkundig auf Jesus (ἐν λόγῳ κυρίου – gesprochen: en lógo kyríou) selbst berufen:
Denn dies sagen wir euch nach einem Wort des Herrn: Wir, die Lebenden, die noch übrig sind bei der Ankunft des Herrn, werden den Entschlafenen nichts voraushaben.
Andererseits sieht er sich aber auch mit Fragen konfrontiert, für die er „kein Wort des Herrn“ hat . Dann spricht und entscheidet er selbst – und eben nicht der Herr, wie etwa bei der Frage, ob man nun in der Erwartung der Wiederkunft Christi noch heiraten soll oder nicht:
Den Verheirateten gebiete nicht ich, sondern der Herr (οὐκ ἐγὼ ἀλλ᾽ ὁ κύριος – gesprochen: ouk egò all ho kyrios): Die Frau soll sich vom Mann nicht trennen – wenn sie sich aber trennt, so bleibe sie unverheiratet oder versöhne sich wieder mit dem Mann – und der Mann darf die Frau nicht verstoßen. Den Übrigen sage ich, nicht der Herr (λέγω ἐγὼ οὐχ ὁ κύριος – gesprochen: légo egò ouch ho kyrios): Wenn ein Bruder eine ungläubige Frau hat und sie willigt ein, weiter mit ihm zusammenzuleben, soll er sie nicht verstoßen.
Sehr schön kann man hier das Wechselspiel zwischen Gewusstem und Erschlossenem erkennen: Bei der ersten Aussage kann er sich auf ein Wort Jesu selbst berufen, bei letzterer muss er eine Antwort finden. Paulus drückt sich nicht vor dieser Herausforderung. Er ermächtigt sich selbst und ertüchtigt sich. Woher aber nimmt er dieses Bewusstsein – oder, um es in seiner Weise zu formulieren:
Dank sei Gott, der uns stets im Triumphzug Christi mitführt und durch uns den Geruch seiner Erkenntnis an allen Orten verbreitet! Denn wir sind Christi Wohlgeruch für Gott unter denen, die gerettet werden, wie unter denen, die verloren gehen. Den einen sind wir Todesgeruch, der Tod bringt; den anderen Lebensgeruch, der Leben bringt. Wer aber ist dazu fähig? Denn wir sind nicht wie die vielen anderen, die mit dem Wort Gottes Geschäfte machen. Wir verkünden es aufrichtig, von Gott her und vor Gott in Christus.
Die Frage nach der Befähigung (ἱκανότης – gesprochen: hikanótes) ist essentiell. Wer ist dazu fähig, die Botschaft Christi in die Welt zu tragen, erwünscht oder unerwünscht, für die einen ein himmlischer Duft, für die anderen ein unerträglicher Todesgeruch?
Die Befähigung, sich selbst zu ermächtigen
Die Antwort des Paulus ist entwaffnend: Es ist der Umgang mit dem Wort Gottes. Aus ihm heraus kann man die Antworten entwickeln – auch da, wo sie nicht unmittelbar gegeben sind. Es ist der göttliche Geist, der im göttlichen Wort aufscheint, der es lebendig macht, immer wieder werden lässt und so auch in Situationen hineinspricht, auf die das Wort Gottes unmittelbar keine Antworten gibt. Hier aber ist es wesentlich zu lernen, die Geister zu unterscheiden (vgl. 1 Korinther 12,10): Während die einen aufrichtig um die richtige Antwort ringen und sich dafür auch ertüchtigen und ermächtigen, machen andere mit dem Wort Gottes Geschäfte. Schlimmer noch: Sie verschachern es – so das von Paulus verwendete Wort καπηλεύειν (gesprochen: kapeleúein). Wer aber etwas verhökert und verschachert, tut dies zum eigenen Vorteil. Er ist eben nicht aufrichtig. Das ist der entscheidende Unterschied, die Frage der εἰλικρίνεια (gesprochen: eilikríneia), der Aufrichtigkeit! Ist es also aufrichtig, sich einfach darauf zu berufen, man habe keine Vollmacht von Jesus, diese oder jene Frage zu entscheiden? Ist es aufrichtig, diese Frage dann doch mit definitivem Anspruch zu entscheiden und sich dabei auf mit offenkundig partieller Wahrnehmung auf das Wort Gottes zu berufen? Wenigstens sollte man so ehrlich sein und offenlegen, dass man sich nicht traut, eine jahrhundertealte Praxis zu revidieren, die man als Tradition bezeichnet – eine Tradition, die ihrerseits auf einer Selbstermächtigung beruht, wenn es die Apostel sind, die beginnen, Vollmachten durch Handauflegung und Gebet an Nachfolger weiterzugeben, die man ἐπίσκοποι (gesprochen: epískopoi) nennt, Aufseher, Bischöfe halt, die ihrerseits irgendwann im 2. Jahrhundert beginnen, Mitarbeiter auszusenden, weil sie die Arbeit nicht mehr alleine schaffen – und so das Priesteramt „erfinden“. Es ist schon erstaunlich, dass im gesamten Neuen Testament in den späten Schriften zwar jene ἐπίσκοποι auftauchen, nicht aber die Priester. Irgendwo in nachneutestamentlicher Zeit muss man sich die Vollmacht genommen haben, Priester zu weihen – eine Selbstermächtigung, ohne dass es dafür ein Wort jenes Jesus von Nazareth war, der nicht nur selbst Laie war, sondern der auch Laien zu Aposteln erwählt hat und sich nicht zuletzt in einer prophetischen Tat gegen den priesterzentrierten Tempelkult gerichtet hat, als er die, die mit Opfertieren handelten aus dem Tempel warf … Wie konnte es soweit kommen, dass der kultkritische Geist Jesu, der doch offenkundig eine unmittelbare, nicht kultvermittelte Begegnung zwischen Gott und Mensch verkündete, so gezähmt werden konnte – wo es dafür doch kein Wort des Herrn gab? Wohl nur durch eine durch die Umstände der Zeit bedingte Selbstermächtigung, die ihrerseits nicht vom Himmel fällt, sondern zutiefst sinnvoll ist – und in der Diktion des Matthäusevangeliums auf den Auferstandenen (!), nicht aber auf den irdischen Jesus zurückgeht. Der sagt zwar dem Petrus nach dessen Messiasbekenntnis:
Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird im Himmel gelöst sein.
Zu diesem Zeitpunkt aber spricht Jesus noch im Futur. Der Zeitpunkt dieser Ermächtigung kommt am Schluss des Matthäusevangeliums:
Die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, den Jesus ihnen genannt hatte. Und als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder, einige aber hatten Zweifel. Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.
Die Einheitsübersetzung gibt hier mit „Vollmacht“ das griechische Wort ἐξουσία (gesprochen: exousía) wieder. Das aber umfasst auch die Bedeutungen „Fähigkeit, Gewalt, Freiheit und Recht“, aber auch „Autorität“ und „Befugnis“. Die ἐξουσία führt also in gewisser Weise zur ἱκανότης (hikanótes), zur Befähigung. Hier spricht Jesus von der Vollmacht, die ihm verliehen ist. Sie befähigt ihn, seine Jünger zu entsenden und zu beauftragen. Mit dieser Beauftragung aber wird auch wirksam, die Jesus dem Petrus verheißen hat: Was du binden wirst, soll gebunden sein, was du lösen wirst, soll gelöst sein. Für sich genommen, wirkt das fast wie ein Orakel. Tatsächlich aber ist es eine Befähigung, zu binden und zu lösen. Das Objekt des Bindens und Lösens ist weit gefasst: ὅ (hó) – das ist sehr allgemein, eben alles, was ansteht. Das bedeutet eben auch, dass Fragen, die es zu lösen gilt, gelöst werden müssen; Zusagen, an die man sich bindet, müssen gelten. Gilt das nun nicht auch für die Frage, die Johannes Paul II (scheinbar?) endgültig entschieden hat?
Von singenden Steinen
Wenn ein Schweigegebot nicht gehalten wird, müssen die Schweigegebieter umdenken (μετανοεῖν – metanoeîn). Dazu jedenfalls gibt es ein Wort des Herrn, der auf die Aufforderung der Pharisäer, er möge seine bei seinem Einzug in Jerusalem „Hoschanna“-singenden Jüngern zurechtweisen, antwortet:
Ich sage euch: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien.
Wo das Schweigen versagt bleibt, müssen die Richter umkehren – wie auch das Gleichnis von der armen Witwe und dem ungerechten Richter lehrt, das nur wenige Verse vorher im Lukasevangelium erzählt wird:
Jesus sagte ihnen durch ein Gleichnis, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten: In einer Stadt lebte ein Richter, der Gott nicht fürchtete und auf keinen Menschen Rücksicht nahm. In der gleichen Stadt lebte auch eine Witwe, die immer wieder zu ihm kam und sagte: Verschaff mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange Zeit nicht. Dann aber sagte er sich: Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht; weil mich diese Witwe aber nicht in Ruhe lässt, will ich ihr Recht verschaffen. Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht. Der Herr aber sprach: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern bei ihnen zögern? Ich sage euch: Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen. Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden?
Wenn die Steine singen und Gott den Schreienden unverzüglich jenes Recht verschafft, das schon auf Erden gelten sollte, kann man sich dann darauf berufen, die Kirche habe für dieses oder jenes keine Vollmacht, zu entscheiden? Die Kirche hat diese Vollmacht! Sie ist längst erteilt! Mehr noch: Die Befähigung, Ertüchtigung und Ermächtigung gilt allen, die voll Aufrichtigkeit mit dem Wort Gottes leben, arbeiten und ringen. Hört also auf, mit dem Wort Gottes zum eigenen Vorteil zu hökern. Neue Fragen brauchen neue Antworten. Und wenn die alten, immer gleichen Fragen auf die alten, immer gleichen Antworten treffen? Dann ist das vielleicht genau das Zeichen, die Steine schreien zu lassen und das zur Debatte stehende Problem komplett neu zu denken. Schließlich bittet Jesus um Menschen, die für die Ernte arbeiten (vgl. Lukas 10,2). Ob es dafür reicht, sich bloß fromm berufen zu fühlen? Die Sache Jesu scheint mir nach diesem Wort des Herrn doch wesentlich handfester zu sein. Dazu nämlich ist die Kirche da: Auf also! Treibt Theologie! Neue Fragen brauchen neuen Antworten – und manche alte Frage offenkundig auch …
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Was für eine tolle Abhandlung!!!!!
An den Papst schicken!!!!
Danke!
Gruß
Margarete Schulze Harling
Ich schließe mich dem an!