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Zwölfundzweiundsiebzig Unterwegs im Auftrag des Herrn


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Jeder Krise wohnt ein Zauber inne – in ihr feststeckend ahnt man allerdings nicht, ob es sich um einen schwarzen oder weißen Zauber handelt. Die Kirche steckt schon lange in der Krise. Viele Ursachen wurden beschworen: Priestermangel, Gläubigenmangel, Glaubensmangel. So in die Mangel genommen fragt niemand mehr, ob der eine Mangel nicht den anderen bedingt. Auf jeden Fall gilt es jetzt, den Mangel zu verwalten – und darin ist die Kirche von jeher stark gewesen: Verwaltung ist ihr Hauptgeschäft geworden. Die Ordinariate und Generalvikariate wähnen sich als feste Burgen der Kirche. Hier trifft man fern der pastoralen Fronten wirtschaftliche Entscheidungen. Sicher wird vor vielen Sitzungen die Bibel geteilt oder ein Gebet gesprochen – das gibt wenigstens den Anschein, als gebe man dem Geist Raum -, bevor man sich dann von professionellen Unternehmensberatungen coachen lässt, die ohne Zweifel über einen fachkundigen Blick auf Zahlen, Daten und Fakten verfügen. Eher selten ist bekannt geworden, dass Unternehmensberater den Faktor Mensch als wirtschaftliche Konstante berücksichtigen. Und so wundert es nicht, dass die Kirchenverwalter das Objekt ihres Wirtschaftens vorrangig unter Unternehmensgesichtspunkten betrachten. Gegen die Autorität des Mammons ist kein irdisches Kraut gewachsen. Was ist schon der Mensch, dass sie an ihn dächten?

Die Schließer

Ein wirtschaftliches Unternehmen stößt, bevor es zum Bankrott kommt, die unproduktiven Unternehmensteile ab. Oder es verkauft sie, um an frisches Kapital zu kommen. Obschon in vielen (Erz-)Bistümern die Kirchensteuereinnahmen sprudeln1), geraten immer mehr Diözesen in ökonomische Schieflagen. Kirchen sind eben keine profitorientierten Unternehmen. Sie produzieren keine werthaltigen Wirtschaftsgüter oder Dienstleistungen, die auf Gewinnorientierung hin angelegt sind. Seit dem Finanzskandal um den früheren Limburger Bischof Franz -Peter Tebartz-van Elst sind die Bistümer allerdings darum bemüht, ihr Finanzgebaren offenzulegen und transparent zu machen. Das hat unter anderem auch dazu geführt, dass die Buchhaltungssysteme umgestellt wurden. An die alte Kameralistik2), bei der einfach Einnahmen gegen Ausgaben bilanziert wurden, wird nunmehr die Doppik3) genannte doppelte Buchführung, die die Bilanz in Soll und Haben ausweist, praktiziert. Hieraus resultiert nicht nur der Reichtum vieler (Erz-)Bistümer, weil auch die immobilen Werte nun in den Bilanzen auftauchen; auch die finanziellen Risiken müssen nun ausgewiesen, vor allem aber abgesichert werden. Und genau hier liegt der Anlass für die Krise, die gegenwärtig viele Kirchenverwalter umtreibt. Die Krise hat meist einen konkreten Anlass: es sind die Pensionsverpflichtungen der kirchlichen Arbeitgeber, für die häufig keine ausreichenden Rückstellungen gebildet wurden4). Um dieses Defizit aufzufangen, stößt man unrentable, aber kostenintensive Posten ab: Gebäude. In dem einen Bistum sind es Kirchengebäude und Pfarrzentren, die man mit dem euphemistischen Hinweis, dass es ja eigentlich um Charismen und lebendige Steine geht, in einem anderen, wie jetzt in Hamburg, sind es kirchliche Schulen. Oft redet man dann davon, dass man ja in Menschen investieren wolle, nicht in Steine5). Allerdings bleibt zu fragen, wo denn die Menschen, in die man investieren will, ihren Ort finden sollen, wenn man ihnen die Steine für Kirchen, Zentren und Schulen nimmt? Kann man in Bildung investieren ohne über Klassenräume zu verfügen. Das pastorale Handeln der Kirche der Gegenwart entwickelt sich immer mehr zu einem Oxymoron: Um die Schäfchen ins Trockene zu bringen, lässt man die Schafe im Regen stehen.

Echokammer

Die Verwaltungen ficht das selten an. Dem Autoritätsargument des Mammons ist wenig entgegenzusetzen. Manch ein pastoraltheologisch anmutender Rechtfertigungsversuch entlarvt sich allein schon im Sprachgebrauch. Artikellos wird dann davon gesprochen, was “Kirche” müsste, sollte, will. Kirche wird dann zu einem Personbegriff, einem Subjekt an sich, das wollen, sollen, müssen kann. Das entlastet die Verantwortlichen eminent. Denn eine solche Kirche hat Bedürfnisse, wie Personen eben Bedürfnisse haben. Kirche bläht sich dann auf und wird feist: Während dort kirchliche Schulen und hier Kirchen bisweilen sogar abgerissen werden, wächst die Verwaltung. Schließlich muss der Mangel verwaltet werden: Aufkeimende Konflikte bedürfen professioneller Begleitung durch Gemeindeberater, Strukturprozesse müssen durch Organisationsberater gestützt werden und überhaupt braucht die Reform ein stabiles verwaltungstechnisches Konzept, das sich in neuen Hauptabteilungen mit entsprechenden Mitarbeiterstäben äußert. Nur selten fängt ein ordentlicher Hirte im eigenen Haus an zu sparen, wie es eigentlich vom 1. Timotheusbrief her zu erwarten wäre:

Das Wort ist glaubwürdig: Wer das Amt eines Bischofs anstrebt, der strebt nach einer großen Aufgabe. Deshalb soll der Bischof untadelig, Mann einer einzigen Frau, nüchtern, besonnen sein, von würdiger Haltung, gastfreundlich, fähig zu lehren; er sei kein Trinker und kein gewalttätiger Mensch, sondern rücksichtsvoll; er sei nicht streitsüchtig und nicht geldgierig. Er muss seinem eigenen Haus gut vorstehen, seine Kinder in Gehorsam und allem Anstand erziehen. Wenn einer seinem eigenen Haus nicht vorstehen kann, wie soll der für die Kirche Gottes sorgen? 1 Timotheus 3,1-5

Da bildet der ehemalige Berliner Erzbischof Georg Maximilian Kardinal Sterzinsky schon fast eine Ausnahme als er sich angesichts drohender Sparmaßnahmen nicht nur nicht hinter Verwaltungschefs versteckte und die Verantwortung schlechten Botschaften wie ein gestandener Familienvater selbst übernahm, sondern auch im eigenen Haus mit dem Sparen anfing und in seiner Verwaltung 40% der Stellen strich6). Wozu braucht man noch große Verwaltungen, wenn es nichts mehr zum Verwalten gibt. Stattdessen ähneln viele bischöfliche Kurien großen Echokammern, in denen man sich laufend an den eigenen Papieren berauscht, sich in Stuhlkreisen trifft, deren Ergebnisse, so es sie denn gibt, eher selten den Wind der Welt zu spüren bekommen, und so unter der perpetuierend autosuggestiv beschworenen Relevanz die faktische Selbstmarginalisierung einer Kirche in der Welt betreibt, die nur eine Aufgabe von dem vom Kreuzestod Auferstandenen aufgetragen bekommen hat:

Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt. Matthäus 25,18-20

Kirchenwesen

Der Auftrag des Auferstandenen ist wesentlich ein Verkündigungsauftrag. Verkündigung ist das eigentliche Wesen der Kirche. Nirgendwo beauftragt Jesus seine Jünger, Gemeinden zu gründen. Im Gegenteil: Die Verkünder sind Wanderer, Ruhelose, Nomaden. Die Gemeinden entstehen aufgrund der Verkündigung. Sie sind selbst Mittel zum Zweck der Verkündigung. Und sie sind notwendige Stationen für die, die im Auftrag des Herrn unterwegs sind.
Wer sich die Geschichte Jesu gerade in den synoptischen Evangelien näher anschaut, der wird nicht nur feststellen, dass Jesus selbst permanent unterwegs ist. Er schickt auch Boten voraus, die den Boden für seine Ankunft vorbereiten. Die Boten sind wie er unterwegs. Aber auch der Menschensohn, der keinen Ort hat, wohin er sein Haupt legen kann (vgl. Matthäus 8,20 und Lukas 9,58), braucht den Ort, an dem er seine Botschaft verkünden kann. Die Boten, die er vor sich herschickt, werden so zu Kundschaftern, die diese Orte mit potentiell fruchtbarem Boden für die Verkündigung finden sollen:

Es geschah aber: Als sich die Tage erfüllten, dass er hinweggenommen werden sollte, fasste Jesus den festen Entschluss, nach Jerusalem zu gehen. Und er schickte Boten vor sich her. Diese gingen und kamen in ein Dorf der Samariter und wollten eine Unterkunft für ihn besorgen. Lukas 9,51-52

In Samarien stößt man allerdings auf Ablehnung, so dass eine andere Route gewählt werden muss – wahrscheinlich die durch das Jordantal. Aber auch hier wiederholt sich das strukturelle Vorgehen Jesu:

Danach suchte der Herr zweiundsiebzig7) andere aus und sandte sie zu zweit vor sich her in alle Städte und Ortschaften, in die er selbst gehen wollte. Er sagte zu ihnen: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden! Geht! Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemanden auf dem Weg! Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als Erstes: Friede diesem Haus! Und wenn dort ein Sohn des Friedens wohnt, wird euer Friede auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu euch zurückkehren. Bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was man euch anbietet; denn wer arbeitet, ist seines Lohnes wert. Zieht nicht von einem Haus in ein anderes! Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, so esst, was man euch vorsetzt. Heilt die Kranken, die dort sind, und sagt ihnen: Das Reich Gottes ist euch nahe! Wenn ihr aber in eine Stadt kommt, in der man euch nicht aufnimmt, dann geht auf die Straße hinaus und ruft: Selbst den Staub eurer Stadt, der an unseren Füßen klebt, lassen wir euch zurück; doch das sollt ihr wissen: Das Reich Gottes ist nahe. Lukas 10,1-11

70Apostles
Die Ikone der Aussendung der 70 Apostel (Synaxis der 70 Apostel) zeigt, welche Bedeutung die Orthodoxie diesem Ereignis beimisst.

Nebenfolgen

Die so ausgesandten Kundschafter kündigen die Ankunft Jesu an. Sie tun das in der Gewissheit, dass das Reich Gottes nahe ist. Keine Frage: Es ist noch lange nicht eindeutig gewesen, was es mit dem Reich Gottes auf sich hat. Aus fast zweitausendjähriger Distanz und mit fast zweitausend Jahren Kirchengeschichte im Rücken scheint es klar zu sein, was mit dem Reich Gottes gemeint ist. Wohlgemerkt: Es scheint klar zu sein! Allein der alte Spruch Alfred Loisys

“Jesus hat das Reich Gottes verkündet; gekommen ist die Kirche.”8)

macht schon deutlich, dass das so eindeutig nicht ist. Zu Zeiten Jesu selbst konnte die Ankündigung des nahen Reiches Gottes darüber hinaus noch politisch aufgefasst werden. Es kann unter diesem Aspekt nicht verwundern, dass die Jünger Jesu wenigstens in Teilen nicht nur bewaffnet waren (vgl. Johannes 18,10), sondern auch schon die Ränge und Posten im kommenden Reich Gottes verteilen wollen:

Da traten Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, zu ihm und sagten: Meister, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst. Er antwortete: Was soll ich für euch tun? Sie sagten zu ihm: Lass in deiner Herrlichkeit einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen! Markus 10,35-379)

Die, die Jesus in die Nachfolge berufen hat, sind zu Nebenfolgen geworden. Sie wollen nicht hinter ihm sein, sondern neben ihm – so wie auch heute noch viele Kirchendiener den Höhepunkt ihrer Karriere darin sehen, einen Posten in der Verwaltung eines (Erz-)Bistums ergattern zu können. Die Arbeit an der pastoralen Front ist einfach zu hart und gefährlich. Hat Jesus es nicht selbst gesagt, dass er die 72 wie Schafe unter die Wölfe schicken wird?

Kundschaft

Wer aber soll die Kundschaft zur Kundschaft bringen, wenn die Kundschafter im Warmen und Trockenen sitzen? Dabei ist die Beauftragung der Kundschafter durch Jesus bemerkenswert. Sie sollen das nahe Reich Gottes verkünden und Kranke heilen. Vergleicht man diesen Auftrag mit dem, den die Zwölf, die man später “die Apostel” nennen sollte, erhalten, und der im Lukasevangelium nur wenige Verse zuvor geschildert wird, dann fällt kein wirklicher Unterschied auf:

Dann rief er die Zwölf zu sich und gab ihnen Kraft und Vollmacht über alle Dämonen und um Krankheiten zu heilen. Und er sandte sie aus, das Reich Gottes zu verkünden und die Kranken gesund zu machen. Er sagte zu ihnen: Nehmt nichts mit auf den Weg, keinen Wanderstab und keine Vorratstasche, kein Brot, kein Geld und kein zweites Hemd! Bleibt in dem Haus, in dem ihr einkehrt, bis ihr den Ort wieder verlasst! Wenn euch aber die Leute nicht aufnehmen, dann geht weg aus jener Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen, zum Zeugnis gegen sie! Die Zwölf machten sich auf den Weg und wanderten von Dorf zu Dorf. Sie verkündeten das Evangelium und heilten überall. Lukas 9,1-6

Die Formulierungen sind fast identisch. Es besteht kein Zweifel, dass der Zwölferkreis gerade für Lukas eine besondere Bedeutung hat, weigert er sich doch konsequent, Paulus wegen seiner Nichtzugehörigkeit zu diesem Kreis Apostel zu nennen. Auch betont er in Apostelgeschichte 2,42, dass unter anderem die Lehre der Apostel, also des Zwölferkreises zu den Grundparameter der Kirche gehört. Der Auftrag aber, den die Zwölf wie die 72 erhalten, besteht übereinstimmend darin, Kranke zu heilen und das Reich Gottes zu verkünden. An diesem Grundauftrag partizipieren eben nicht nur die Zwölf: Verkündigung in Wort und Tat – Kundschaft in Theorie und Praxis – das ist der Auftrag der Kirche schlechthin.

Dazu aber braucht es Orte, Stationen, Kirchmarken, an denen die Verkünderinnen und Verkünder wirken können. In der Diktion der Evangelien sind es die vielen Häuser, in denen Jesus später zu Gast sein wird. Manche Gastgeber sind bekannt oder bekommen wenigstens eine gewisse Gestalt: der Pharisäer (vgl. Markus 14,3-9parr), Zachäus (vgl. Lukas 19,1-10), nicht zuletzt auch die Schwestern Maria und Martha (vgl. Lukas 19,38-42). Oft verschwimmt die Grenze zwischen Gast und Gastgeber, wenn Jesus der Gast als Gastgeber erscheint, der auch Zöllner und Sünder, Fresser und Säufer um sich schart. Er kommt, um einzukehren. Er kehrt ein, um durch Wort und Tat das nahe Reich Gottes zu wirken. Die Kundschaft kommt und sie ist da!

Versorgungsstationen

Die Kirche ist in der Tat zu sehr an sich selbst satt geworden. Unter dem Krummstab ließ es sich schon immer gut leben. So gut alimentiert kann man sich nach dem Überbringen schlechter Botschaften schnell in die sichere Burg autoritärer Argumente zurückziehen. Wer kein Brot hat, möge halt Kuchen essen. Sollen die stets zu Gehorsam ermahnten Schafe doch endlich lernen, dass sie eigentlich lebendige Steine mit Charismen sind (auch wenn niemand so recht definiert, was denn Charisma ist). Und tatsächlich: Hier und da gründet man etwas Neues. Gründerinitiativen und kirchliche Startups sind im Trend! Die Kirche als Unternehmen funktioniert so weiterhin. Aber sind diese hippen frischen Ausdrücke von Kirchen wirklich Orte, von denen die Kundschaft des nahen Reiches Gottes in Wort und Tat in die Welt getragen wird. Sind das Versorgungsstationen und Lazarette für die Kranken an Leib und Seele? Hat das Kreuz dort seinen Platz oder wird dort eine Kirche gebastelt, wie man sie gerne hätte mit Halleluja und Worship, an dem man sich selbst ergötzt und die Weltenwölfe vor der Tür bleiben?

Im Schillern der Begriffe zwischen Charismenorientierung, Gleichwürdigkeit und Gründerinitiativen droht der eigentliche Auftrag aus dem Blick zu geraten:

Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Matthäus 28,19

Damit dieser Auftrag vollzogen werden kann, braucht es Orte, an denen die Verkünderinnen und Verkünder Station machen können – seien es die, die sich in der apostolischen Sukzession auf die Beauftragung der Zwölf berufen, seien es die – und das muss die Kirche wohl neu lernen -, die mit gleicher Vollmacht in der Tradition der 72 stehen10). Ihre Methode besteht darin, auf dem Weg zu sein. Nicht die Menschen müssen sich zu ihnen bewegen – nein! Sie müssen zu den Menschen gehen, zu den Orten, wo sich die Versammlungen treffen. Und diese Orte braucht es! Es braucht die Versorgungsstationen, an denen die Verkünderinnen und Verkünder Halt machen können, einkehren, zu Gast sind und zu Gastgebern werden, um dann weiterzuziehen zur nächsten Herberge. Wo die Verwalter aber eben diese Orte und Herbergen schließen, an denen sich das Wort Gottes bisher ereignete, da werden sie wahrhaftig zu Kirchenverwesern!

Die evangelisierende Gemeinde stellt sich durch Werke und Gesten in das Alltagsleben der anderen, verkürzt die Distanzen, erniedrigt sich nötigenfalls bis zur Demütigung und nimmt das menschliche Leben an, indem sie im Volk mit dem leidenden Leib Christi in Berührung kommt. So haben die Evangelisierenden den „Geruch der Schafe“, und diese hören auf ihre Stimme. Papst Franziskus, Evangelii Gaudium Nr. 24

Riecht es nach oder stinkt es zum Himmel?

Einer, der unermüdlich im Auftrag des Herrn unterwegs war, aber immer in den Gemeinden, die sich aufgrund seiner Verkündigung gebildet hatten, ist Paulus. Im Konflikt mit der korinthischen Gemeinde, in der es nicht zuletzt auch um die Frage des Umgangs mit anvertrautem Geld ging, beschreibt er seine Arbeit mit eindringlichen und emphatischen Worten:

Dank sei Gott, der uns stets im Triumphzug Christi mitführt und durch uns den Geruch seiner Erkenntnis an allen Orten verbreitet! Denn wir sind Christi Wohlgeruch für Gott unter denen, die gerettet werden, wie unter denen, die verloren gehen. Den einen sind wir Todesgeruch, der Tod bringt; den anderen Lebensgeruch, der Leben bringt. Wer aber ist dazu fähig? Denn wir sind nicht wie die vielen anderen, die mit dem Wort Gottes Geschäfte machen. Wir verkünden es aufrichtig, von Gott her und vor Gott in Christus. 2 Korinther 2,14-17

Das Handeln derer, die im Auftrag des Herrn unterwegs sind, wird für die, die die Kundschaft hören, zur Nasenprobe: den einen stinkt sie zum, für die anderen riecht sie nach Himmel. Wer aber mit dem Wort Gottes Geschäfte macht, wer es verschachert, der mag zwar glauben, dass Geld nicht stinkt; das Fell der Schafe, die man im Regen stehen lässt, tut es dafür umso mehr!

Kehrt um!

Am Beginn des Markusevangeliums proklamiert Jesus genau die Kundschaft, mit der er später seine Kundschafter in die Welt schicken wird:

Jesus verkündete das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium! Markus 1,14-15

Mehr denn je braucht die Kirche diese Kundschafter, die zu den Menschen gehen – und die Kirche braucht die Orte, an denen die Kundschafter auf ihrem Weg einkehren und wirken können. Wer aber fällt den Kirchenverwaltern in den Arm, um den “brutalen Akt der Zerstörung”11), der nicht nur in den Bistümern Trier, Essen oder Hamburg zu beobachten ist, sondern auch in anderen Diözesen droht, endlich abzuwenden und – bevor es zu spät ist und die Kirche sich selbst abgeschafft hat – wieder in echte Verkündigung zu investieren, die nicht nur auf die klerikalen Nachfolger der Zwölf fokussiert, sondern auch auf die, die in der Tradition der 72 zugerüstet und beauftragt werden, nicht als Ehrenamtliche, sondern als Arbeiter Gottes im Weinberg, die ein Anrecht auf Lohn haben. So schreibt Paulus:

Wenn ich für andere kein Apostel bin, bin ich es doch für euch. Ihr seid ja im Herrn das Siegel meines Apostelamtes. Das aber ist meine Rechtfertigung vor denen, die abfällig über mich urteilen: Haben wir nicht das Recht, zu essen und zu trinken? Haben wir nicht das Recht, eine Schwester im Glauben als Frau mitzunehmen, wie die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und wie Kephas? Haben nur ich und Barnabas kein Recht, nicht zu arbeiten? Wer leistet denn Kriegsdienst und bezahlt sich selber den Sold? Wer pflanzt einen Weinberg und isst nicht von seinem Ertrag? Oder wer weidet eine Herde und trinkt nicht von der Milch der Herde? 1 Korinther 9,2-7

Egal ob geweiht oder ungeweiht: die Leistung zählt auch im Dienst des Herrn. Wer verkündet, hat Anrecht auf Lohn! Dient aber die Verwaltung noch der Verkündigung oder nur dem Mangel? Macht sie Verkündigung möglich oder nimmt sie ihr die Orte, wo sie wirklich werden kann? Hat der Mammon und dessen Berater wirtschaftlicher Effizienz das Sagen oder das Streben, wie die Kundschaft vom nahen Reich Gottes lebendig gehalten werden kann? Verabreichen die Verantwortlichen da nur pastorale Placebos oder haben sie eine echte Strategie, wie die Verkündigung wieder wirksam werden kann? Ist das Ziel von Gründungen die Verwirklichung einer subjektiv geträumten Kirche oder entstehen hier echte ekklesiale Keimzellen in einer Welt, die die Kundschaft in die Auseinandersetzungen der Gesellschaft tragen? Fragen über Fragen für eine echte und notwendige Gewissenserforschung der verwaltenden Kirchenverweser!

Zwölfundzweiundsiebzigundeiner

Aber vielleicht sollte man nicht warten, bis die Selbstmarginalisierung der Kirche, die sich als geistlicher Prozess getarnt, dann doch nur als fauler Zauber entpuppt, vollbracht ist. Bereits die Zwölf begehren auf, als sie einen sehen, der im Namen des Herrn unterwegs ist, ohne von ihm selbst unmittelbar legitimiert worden zu sein:

Da sagte Johannes zu ihm: Meister, wir haben gesehen, wie jemand in deinem Namen Dämonen austrieb; und wir versuchten, ihn daran zu hindern, weil er uns nicht nachfolgt. Jesus erwiderte: Hindert ihn nicht! Keiner, der in meinem Namen eine Machttat vollbringt, kann so leicht schlecht von mir reden. Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns. Markus 9,38-40

Vielleicht ist nicht das Kleid zu groß, sondern das Herz zu klein ...

Keine Zeit zu warten!

In Hamburg scheint man sich das zu Herzen zu nehmen, wenn die Eltern der von Schließung bedrohten Schulen die Initiative ergreifen und zur Gründung einer Schulgenossenschaft aufrufen. Der Sprecher der Initiatoren, einer kleinen Gruppe Hamburger Katholiken, Christian Bernzen, stellt dazu fest:

“Wenn 10.000 Menschen Mitglieder dieser Genossenschaft werden wollen, gibt es eine gute Basis, dem Erzbistum Hamburg anzubieten, dass wir alle zusammen den Betrieb und auch die Immobilien der 21 Schulen übernehmen.”12)

Das Erzbistum Hamburg begrüßt die Initiative. Hätte man nicht selbst auf diese Idee kommen können und den Charismen, die man doch immer beschwört, vertrauen können? Vielleicht sollten die 72 nicht zu lange auf die Zwölf warten. Der eine, der Fremde hat es doch vorgemacht. Es braucht nicht viel, um unterwegs zu sein im Auftrag des Herrn. Nur unterwegs muss man sein!

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Bildnachweis

Titelbild: The Blues Brothers (amika san – Ausschnitt) – Quelle: flickr.de – lizenziert als CC BY-ND 2.0.

Bild 1: Ikone der siebzig Jünger – Quelle: Wikipedia – lizenziert als gemeinfrei

Einzelnachweis   [ + ]

1. Vgl. hierzu Jan Grossarth, Dei Einnahmen der Kirche sprudeln wie nie, in: FAZ online, 13.4.2017, Quelle: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/kirche-profitiert-vom-wirtschafts-boom-14969854.html [Stand: 4. Februar 2018].
2. Vgl. hierzu https://www.haushaltssteuerung.de/lexikon-kameralistik-einfache.html [Stand: 4. Februar 2018].
3. Vgl. hierzu https://www.haushaltssteuerung.de/lexikon-doppik.html (Stand: 4. Februar 2018].
4. Vgl. hierzu Christina Rietz, Tschüss, Volkskirche, in: Zeit online, 2.2.2018, Quelle: http://www.zeit.de/2018/06/erzbistum-hamburg-schulden-schliessung-katholische-schulen/komplettansicht [Stand: 4. Februar 2018] sowie Daniel Deckers, Gottes Verwaltungschef auf Erden, in: FAZ online, 3.2.2018, Quelle: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/acht-von-hamburgs-21-katholischen-schulen-schliessen-15429878.html [Stand: 4. Februar 2018].
5. So etwa die Düsseldorfer Superintendentin Henrike Tetz – siehe hierzu das Interview in Rheinische Post online vom 30.10.2017, Quelle: http://www.rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/in-menschen-investieren-nicht-in-steine-aid-1.7174713 [Stand: 4. Februar 2018].
6. Vgl. hierzu Christina Rietz, Tschüss, Volkskirche, in: Zeit online, 2.2.2018, Quelle: http://www.zeit.de/2018/06/erzbistum-hamburg-schulden-schliessung-katholische-schulen/komplettansicht [Stand: 4. Februar 2018].
7. Textkritisch ist auch die Lesart “siebzig” bezeugt. Die Zahl 72 ist allerdings mehrheitlich bezeugt und zudem in qualitativ hochwertigen Textzeugen wie dem Codex Sinaiticus zu finden. Für sie spricht auch, dass sie ein Vielfaches der symbolischen Zahl 12 ist, gleichzeitig aber die Hälfte des Produktes aus 12 mal 12. Darin könnte sich ausdrücken, dass die Bewegung unterwegs, aber eben noch nicht vollendet ist. Die andererseits bezeugte Lesart “siebzig” könnte sich auf die in Genesis 10 aufgezählten 70 Nationen beziehen und somit ein Hinweis auf die messianische Zeit bedeuten, die sich darin äußert, dass nun die Völker zum Zion kommen. Freilich findet hier eine Aussendung von Jüngern statt und keine Völkerwallfahrt. Deshalb und aufgrund der qualitativen Bezeugung wird hier die Lesart “zweiundsiebzig” bevorzugt. Erwähnt sei allerdings, dass in der orthodoxen Tradition die Zahl “siebzig” wirkungsgeschichtlich relevant ist, wenn dort von der “Synaxis der 70 Apostel” gesprochen wird, die in Listen aufgeführt werden, die eben 70 Namen beinhalten.
8. Alfred Loisy, L’évangile et l’église, Paris 1902.
9. Vgl. zum Rangstreit der Jünger auch Markus 9,33-37parr.
10. Es ist sicher kein Zufall, dass die orthodoxen Kirchen auch von ihnen als Apostel sprechen und ihre Aussendung als “Synaxis der siebzig Apostel” bezeichnet.
11. So der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller angesichts der “Reform” des Bistums Trier, bei der aus 887 Pfarreien 20 Riesengebilde ohne jede Chance auf Identifikation gemacht werden (zitiert nach Christina Rietz, Tschüss, Volkskirche, in: Zeit online, 2.2.2018, Quelle: http://www.zeit.de/2018/06/erzbistum-hamburg-schulden-schliessung-katholische-schulen/komplettansicht [Stand: 4. Februar 2018]).
12. Zitiert nach Daniel Deckers, Gottes Verwaltungschef auf Erden, in: FAZ online, 3.2.2018, Quelle: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/acht-von-hamburgs-21-katholischen-schulen-schliessen-15429878.html [Stand: 4. Februar 2018].
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