conditio humana

Vom Unterdrücken und Erhören George Floyd, Rassismus und die Bibel


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8 Minuten und 46 Sekunden kniete der Polizist auf dem Nacken von George Floyd.1) So zu Boden gedrückt, rief er mehrmals „„Ich kann nicht atmen!“, bevor er völlig regungslos war. Sein Tod ist – wie so viele andere unnötige Tode zuvor – ein Sinnbild für unverhältnismäßige Gewalt US-amerikanischer Polizisten gegen afroamerikanische Mitbürger. Auf Videos, aufgenommen mit Smartphones, sieht man das Leid – George Floyd, niedergedrückt und unterdrückt. Die folgenden Anti-Rassismus-Demonstrationen führten zu Randale, Plünderungen und Vandalismus. Die Unterdrückung ist umgeschlagen in Gegengewalt – aus den Machtlosen sind selbst Gewalttätige geworden. Die Mahnung der Familie George Floyds, dass die Demonstrationen Ausdruck des friedlichen Widertands sein sollten, verhallt ungehört und der US-amerikanische Präsident bezeichnet sie bereits als „inländischen Terror“ und redet von einem nötigen Militäreinsatz.

„Nicht wer zuerst die Waffen ergreift, ist Anstifter des Unheils, sondern wer dazu nötigt“, schrieb Machiavelli. Doch Gewalt führt zur Unterdrückung und Unterdrückung zur Gewalt – das ist die Spirale der Hilflosigkeit. In den Psalmen erheben die Unterdrückten immer wieder ihre Worte und bitten Gott um Hilfe – doch in der strukturellen, rassistischen Gewalt einer Gesellschaft ist scheinbar kein Platz für Gott und die Würde seines Ebenbildes. So sind Gebetsworte auf den ersten Blick nutzlose Waffen.

Sei mir gnädig, HERR! Sieh doch mein Elend, wie sie mich hassen, du, der mich emporhebt aus den Pforten des Todes! (Ps 9,14)

Wären dies „passende“ letzte Worte George Floyds gewesen? Ein letzter Hilfeschrei? Im biblischen Hebräisch ist das hier mit „mein Elend“ übersetzte Wort bemerkenswert: ‎עָ֭נְיִי (gesprochen: oni). Die Grundbedeutung ist „Erniedrigung / Demütigung / erfahrene Gewalt“. So beschreibt es passender als jedes deutsche Wort, was Unterdrückung – sowohl sozial als auch physisch – bedeutet. Zudem erklärt dieser Begriff wie kein anderer, dass Gott parteiisch auf der Seite der Unterdrückten steht. Die hebräische Sprache besteht aus Wortwurzeln, aus denen sich Nomen, Verben, Adjektive etc. ergeben. Und das Wort, das die Unterdrückung, sei es als Erniedrigung, Demütigung oder erfahrene Gewalt, ausdrückt, stammt aus derselben Wortwurzel wie das hebräische Wort für „Antwort“ und „antworten / erhören“ (ענה).

Ich habe zu dir gerufen, denn du, Gott, gibst mir Antwort. Psalm 17,6

Gott erhöht den Unterdrückten. Das sollte Warnung und Zuspruch zugleich sein – je nachdem, auf wessen Seite man steht. Doch diese theologische Weisheit verstummt in der Spirale der Gewalt, wenn sie nicht gelebt wird: Gott erhöre die unerhört Unterdrückten!

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1. Eine längere Version dieses Textes erschien parallel auf der Seite des Bibelprojektes “In Principio” unter dem Titel: “Hautfarbe und Leopardenflecken“.
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