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Nächstenliebe sollte örtlich begrenzt sein. Wenn man sie als eine Pflicht zum helfenden Handeln versteht und zugleich im „globalen Dorf“ jeder Mensch mein Nächster sei, dann wäre dieses Gebot nicht nur unrealistisch, sondern eine unverantwortbare Überforderung. So oder ähnlich lauteten mehrere Kommentare auf Facebook oder in Privatnachrichten nach der Veröffentlichung meines Textes „Der Nächste?“. Ja, Christ zu sein kann wie eine Überforderung wirken – und nein, Nächstenliebe bedeutet keine Selbstaufgabe.
Nein!
Als Johannes der Täufer das anstehende Gottesgericht verkündet, wird er von den um ihn Versammelten gefragt, was sie denn im Angesicht des Zorn Gottes nun tun sollten. Sein Ratschlag ist sehr einfach und sehr präzise:
Er antwortete ihnen: Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso! Lukas 3,11
Johannes fordert von denjenigen, die sich von ihm taufen lassen „Früchte der Buße“, „gute Früchte“. Er verlangt von allen eine alles Unrecht meidende Hilfsbereitschaft. Seine Verkündigung geschah in einem Lebenskontext, in dem viele Menschen an der Existenzgrenze lebten und sich um Kleidung und Nahrung sorgen mussten. Er gesteht den Zuhörenden selbst das Existenzminimum zu, aber er fordert zugleich, das Leben der Anderen durch die eigene Hilfsbereitschaft zu ermöglichen. Es geht um eine selbstlose Entschiedenheit bis zum eigenen Existenzminimum. Dieselbe Frage, die Johannes dem Täufer gestellt wurde, fragt ein Gesetzeslehrer später im Lukas-Evangelium – und Jesus verweist ihn auf das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe (Lukas 10,25-28): Wer Gott und den Nächsten liebt, erlangt das ewige Leben.
Ja!
Andere am eigenen Überfluss teilhaben zu lassen, kann subjektiv bereits eine Überforderung sein. Doch Jesus geht im Matthäus-Evangelium noch einen Schritt weiter:
Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, … . Matthäus 5,43-44
Die Intention der Nächstenliebe soll selbst gegenüber Feinden gelten. Christen sollen eine „bessere Gerechtigkeit“ (Matthäus 5,20) anstreben, die selbst Hass mit Liebe entgegentritt. Die Ausweitung des Gebots der Nächstenliebe ist keine Antithese zum alttestamentlichen Gesetz. Die Gegenüberstellung wendet sich gegen eine nationalistische, religionsexklusive Verengung der Nächstenliebe. Bereits im Alten Testament finden sich Gebote der Feindesliebe. Das Buch Exodus verpflichtet selbst denjenigen in der Not zu helfen, der mich hasst (Exodus 23,4-5). Man solle sich nicht über das Unglück der Feinde freuen (Sprichwörter 24,17-18), sondern für das leibliche Wohl des Feindes sorgen:
Hat dein Feind Hunger, gib ihm zu essen, hat er Durst, gib ihm zu trinken; so sammelst du glühende Kohlen auf sein Haupt und der HERR wird es dir vergelten. Sprichwörter 25,21-22
Die Nächstenliebe soll soweit reichen, dass sie selbst die Feinde umfasst. Indem die christliche Menschenliebe nicht zwischen unterschiedlichen Menschen unterscheidet, ist sie eine Nachahmung der Liebe Gottes in der Welt.
Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Matthäus 5,46
Christ zu sein bedeutet, nicht das Menschentypische, sondern das Menschenmögliche zu tun. In dieser vermeintlichen Überforderung zeigt sich das christliche Proprium. Weitet die verengten Vorstellungen, was Nächstenliebe bedeutet! –
damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet.
Bildnachweis
Titelbild: Muslim family having dinner on the floor, fotografiert von rawpixel.com. Lizenz: gemeinfrei.
Sehr geehrter Herr Dr. Steiner, Sie haben vollkommen recht – ich komme zu demselben Fazit wie Sie (s.a. mein Kommentar zu den jüngsten Ausführungen zur Nächstenliebe von Dr. Kleine).
Leicht ist das alles m.E. keineswegs, in diesem Sinne konsequent die Nächstenliebe am Mitmenschen auszuüben – aber heilsnotwendig.
Wie ich in dem lesenswerten Buch von Jörgen Bruhn “Blicke hinter den Horizont” auf S. 40f las, haben u.a. auch Menschen mit sog. Nahtoderfahrungen im Jenseits übereinstimmend erfahren müssen, dass es neben dem Erwerben von Wissen im irdischen Leben einzig und allein auf die im irdischen Leben ausgeübte Liebe ankommt.
Dieses beides scheint nach jenseitigem Gesichtspunkt entscheidend für ein gelingendes oder eben misslingendes Leben zu sein – nichts anderes…
“Ubi caritas et amor Deus tibi est” – “Wo Güte ist und Liebe da ist Gott”
Zitat:
“Christ zu sein bedeutet, nicht das Menschentypische, sondern das Menschenmögliche zu tun.”
Deshalb kann ich die Pastorentochter Merkel verstehen wenn Sie sagte: “Wir schaffen das”! Sie lebte in einem Land, das viele Flüchtlinge kommen sah. Diese Flüchtlinge oder Vertriebenen wurden offiziell herzlich “Willkommen” geheissen.
Sie wusste auch, dass einige Landsleute ihr Seelenheil nur in der Flucht Richtung Westen sahen.
Ich kann Christen nicht verstehen, die die im Meer treibenden nicht aus Nächstenliebe ins rettende Boot ziehen wollen sondern “Mit das Boot ist voll” antworten!
Ich weiss allerdings nicht wie ich reagiere werde, wenn es am Weihnachtstag an meine Türe pocht. Ich öffne die Türe und draussen in der Kälte, oder wenn es mit dem Temparaturanstieg so weitergeht in der Hitze, steht ein fremdländisches Paar, ein Mann mit einem Wanderstock in der Hand, eine Frau mit einem kleinen Kind und ein Esel.
Der Mann spricht mich an, ich verstehe seine fremdländischen Worte nicht. Sie lächelt mich an, ihr Kind lächelt mit an und spricht mit mir:
“Mein Vater Josef, meine Mutter Maria und ich bitten um ein Dach über dem unseren Köpfen”.
Ich verstehe nicht, warum ich das Kind, das lallt und nicht spricht, warum ich das Kind verstehe.
Im Hintergrund meine ich Musik zu höhren. Die Melodie erinnert mich an “Adeste fideles”!
https://www.youtube.com/watch?v=l1wHyMR_SCA
Ich öffne mein Herz und meine Türe:
“Herr ich bin nicht würdig dass du Eintritts unter mein Dach – sprich aber nur ein Wort – so wird meine Seele gesund”!