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“Wir haben herzlich wenig für Frauen getan, die sich in sehr schweren Lagen befinden, wo sie verachtet, an den Rand geschoben und sogar ins Sklaventum hinabgesetzt sind.”1) Um diese Aussage von Papst Franziskus zu bestätigen, reicht schon ein Blick auf die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. In jeder Art von Beruf verdienen Männer mehr als Frauen. 2014 verdienten Frauen im Durschnitt 22% weniger als Männer. Selbst im Öffentlichen Dienst beträgt das geschlechtsspezifische Lohngefälle (engl. Gender Pay Gap) immer noch 6%.2) Die Ungleichbehandlung ist jedoch kein rein „ökonomisches“ Problem, sondern ein gesellschaftliches, das auch die Kirche seit ihrer Entstehung prägt.
Frauenfeindlich und antifeministisch
Es ist ein Vor-Urteil vieler Menschen, dass das Christentum, im Besonderen die katholische Kirche frauenfeindlich beziehungsweise antifeministisch ist. Bestätigung findet dieses Urteil in der Bibel:
Eine Frau soll sich still und in aller Unterordnung belehren lassen. Dass eine Frau lehrt, erlaube ich nicht, auch nicht, dass sie über ihren Mann herrscht; sie soll sich still verhalten.
Die eigene Stimme, die grundlegend für eine Gleichberechtigung ist, wird einer Frau verwehrt. Die unterwürfige und schweigende Frau scheint das Ideal darzustellen:
Wie es in allen Gemeinden der Heiligen üblich ist, sollen die Frauen in der Versammlung schweigen; es ist ihnen nicht gestattet zu reden. Sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz es fordert.
Solche Aussagen klingen nicht nach dem Paulus, der im Brief an die Galater verkündet, dass es in Christus keinen Unterschied mehr zwischen Mann und Frau gibt (siehe Galater 3,28). Es findet sich auch kein Widerhall des Berichtes aus dem Lukasevangelium, demnach neben den zwölf Jüngern auch viele Frauen Jesus folgten und ihn unterstützten (siehe Lukas 8,1-3). Innerhalb des Ersten Briefes an die Korinther zeigen sich die beiden Seiten der Gleichberechtigung und der Ungleichberechtigung in all ihrer Widersprüchlichkeit. Einerseits soll eine Frau gemäß 1 Korinther 11,34 in der Versammlung schweigen, andererseits aber darf eine Frau gemäß 1 Korinther 11,5 beten und prophetisch sprechen. Der Autor führt zu seiner Rechtfertigung für das verlangte Schweigen „das Gesetz“ an. Ein solches Gesetz findet sich jedoch nicht im Alten Testament. Bei Josephus (gestorben 100 n. Chr.), dem jüdischen Historiker findet sich eine ähnliche verallgemeinernde Argumentation: „Die Frau, so sagt das Gesetz, ist in allem dem Mann gegenüber minderwertiger. Daher lass sie unterwürfig sein.“3) Ohne Zweifel finden sich im Alten Testament zahlreiche frauenfeindliche Passagen. Zum Beispiel darf ein Vater seine Tochter gemäß Exodus 21,7 als Sklavin verkaufen. Wenn eine Frau nicht verheiratet ist, untersteht sie ihrem Vater. Wenn sie heiratet, ist sie ihrem Ehemann untergeordnet. Das hebräische Wort für Ehemann lautet בעל (gesprochen: baal) und bedeutet „Besitzer, Eigentümer“. Teile des alttestamentlichen Gesetzes sind ohne Zweifel frauenfeindlich – was Gott selbst in einem Fall eingesteht.
Frauen haben RECHT
Im Buch Numeri wird vom Zensus des Volkes nach der vierzigjährigen Wüstenwanderung erzählt. Nachdem die sündige Wüstengeneration gestorben ist, lässt Gott das Volk zählen und bereitet so die Landverteilung nach der Landnahme vor. Gott lässt die Männer zählen und spricht:
An diese Männer soll das Land als Erbbesitz verteilt werden, entsprechend der Zahl der verzeichneten Namen.
Gegen diese Entscheidung protestieren fünf Frauen: Machla, Noa, Hogla, Milka und Tirza – die Töchter des verstorbenen Zelofhads. Ihr Vater ist gestorben, ohne einen Sohn zu hinterlassen. In einer patriarchal strukturierten Gesellschaft bedeutet dies für diese vier Frauen, dass sie keinen Versorger und keinen Fürsprecher mehr haben. Ihr Schicksal liegt in ihrer Hand und sie schweigen nicht:
Die Töchter Zelofhads, des Sohnes Hefers, des Sohnes Gileads, des Sohnes Machirs, des Sohnes Manasses, aus den Sippen Manasses, des Sohnes Josefs, – diese Töchter hießen Machla, Noa, Hogla, Milka und Tirza -, kamen zu Mose, zum Priester Eleasar, zu den Anführern und zur ganzen Gemeinde an den Eingang des Offenbarungszeltes und sagten: …
Sie lassen sich nicht durch jemanden repräsentieren in ihrem Anliegen. Sie konfrontieren nicht nur die Verantwortungsträger, sondern erheben ihre Stimme im Angesicht des gesamten Volkes. Als Ort hierfür ist nicht einfach irgendein Ort gewählt, sondern das Offenbarungszelt: das Zentrum des Volkes, dort wo Gott mitten in seinem Volk anwesend ist. Nur Mose und Aaron war es gestattet in dieses Zelt zu gehen und die fünf Töchter stellen sich direkt an den Eingang, um sich mit ihrem Anliegen vor dem Volk und vor Gott Gehör zu verschaffen:
Unser Vater ist in der Wüste gestorben. Er gehörte nicht zu den Anhängern Korachs, die sich gegen den Herrn zusammengerottet hatten; denn er war bereits wegen seiner eigenen Sünde gestorben. Aber er hinterließ keine Söhne. Warum soll nun der Name unseres Vaters aus seiner Sippe verschwinden, weil er keinen Sohn hatte? Gib uns also eigenen Grund und Boden bei den Brüdern unseres Vaters!
Der Vater ist tot und sie stehen nun mittellos dar, weil sie Frauen sind. Das Gesetz bestraft sie und mindert damit auch das Andenken an ihren Vater. Die Töchter stellen klar, dass ihr Vater sich nicht mit Korach gegen Mose und Aaron zusammengerottet hatte (siehe Numeri 16). Er ist so wie die gesamte Generation, die aus Ägypten ausgezogen war, wegen dem Unglauben eines natürlichen Todes in der Wüste gestorben. Während die Söhne der als sündig bezeichneten Exodus-Generation aber ihren Anteil am verheißenen Land erhalten werden, gilt dies für die Töchter nicht. Diese Ungerechtigkeit klagen sie an – und Gott spricht ihnen das Recht zu.
Mose trug ihren Fall dem Herrn vor, und der Herr sprach zu Mose: Die Töchter Zelofhads haben recht. Du musst ihnen eigenen Grund und Boden als Erbbesitz bei den Brüdern ihres Vaters geben, also den Erbbesitz ihres Vaters auf sie übertragen.
Der Gott der Gerechtigkeit sieht die Ungerechtigkeit seiner Gesetzgebung ein. Die fünf Frauen haben recht und er revidiert seinen Willen. Sie haben gegen Gott eine Gesetzesänderung erwirkt und Gott erlässt ein neues Gesetz:
… Wenn jemand ohne Söhne stirbt, dann übertragt seinen Erbbesitz auf seine Tochter! Hat er keine Tochter, dann gebt seinen Erbbesitz seinen Brüdern! Hat er keine Brüder, dann gebt seinen Erbbesitz den Brüdern seines Vaters! Hat sein Vater keine Brüder, dann gebt seinen Erbbesitz dem nächsten Verwandten aus seiner Sippe; er soll ihn bekommen. Das wurde für die Israeliten geltendes Recht, wie der Herr es Mose befohlen hatte.
Weil die Frauen ihre Stimme erhoben haben, Mose ihr Anliegen nicht einfach ignoriert oder abgelehnt hat und Gott sich ihnen mit offenem Ohr zugewendet hat, entsteht aus einer ungerechten Situation ein gerechteres Recht.
Autorität
Hätten die Frauen die Ungerechtigkeit nicht wahrgenommen, hätte Mose ihr Anliegen nicht vor Gott gebracht und wäre Gott ignorant gewesen, dann wäre das Recht ungerecht geblieben. Ohne die Autorität Gottes hätte sich die Situation nicht geändert. Zugleich wird er als Grund für die Ungerechtigkeit angeführt. Gerechtigkeit kann sich nicht selbst etablieren, sondern sie beruht auf dem Zusammenspiel von Autorität und dem Hinterfragen dieser Autorität. Es gehört zum Modus der Ungleichbehandlung von Frauen, dass Kritik nur hilft, wenn sie auf belehrbare Ohren stößt.
Bildnachweis
Titelbild: „Feminism“, fotografiert von KylaBorg. Lizenziert unter CC BY-SA 2.0.
Einzelnachweis
1. | ↑ | Siehe das Video zur Gebetsmeinung von Papst Franziskus für Mai 2016 [Stand: 06. Mai 2016]. |
2. | ↑ | „Gender Pay Gap“, Statistisches Bundesamt [Stand: 06. Mai 2016]. |
3. | ↑ | Contra Apionem, 2,200f. |