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Res publica

Herrschaft und Liebe Beherrscht der Mann seine Frau oder verlangt es ihm nach ihr?


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104.290 Frauen wurde 2015 Opfer häuslicher Gewalt. Gemäß einem Bericht des Bundeskriminalamtes steigt die Zahl der Gewalttaten in Partnerschaften stetig seit 2012.1) Der Verein „Frauen gegen Gewalt“ verweist darauf, dass 25% der in Deutschland lebenden Frauen schon Gewalt durch einen Beziehungs-/Lebenspartner erlebt haben.2) In Russland ist nun eine Gesetzesänderung verabschiedet worden, die häusliche Gewalt im Sinne einer vorsätzlichen einfachen Körperverletzung nur noch als Ordnungswidrigkeit einstuft. Die Befürworter des Gesetzes argumentierten, dass häusliche Gewalt gegen Kinder und Frauen – solange es sich nicht um Gewaltexzesse und/oder schwere Körperverletzung handelt – eine private Angelegenheit sei, aus der sich der Staat heraushalten müsse.3)

Die Herrschaft des Mannes über seine Frau

In der russischen Gesetzesänderung und in der hohen Zahl von Fällen häuslicher Gewalt in Deutschland, zeigt sich ein Weltbild, das man in Genesis 3,16 bestätigt sehen könnte. Nach dem sogenannten Sündenfall im Garten Eden,4) legt Gott das Verhältnis der Frau zu ihrem Ehemann fest:

Nach deinem Mann hast du verlangen / und er wird über dich herrschen. Genesis 3,16

Die Zugehörigkeit einer Frau zu ihrem Mann wird als Erfüllung ihres Daseins dargestellt. Die Frau sei dem Mann klar untergeordnet. So warnt Jesus Sirach seine Schüler explizit vor Situationen, in denen sich Ehemänner ihren Frauen als unterlegen erweisen:

Wie ein sandiger Aufstieg für die Füße eines älteren Menschen, / so ist eine geschwätzige Frau für einen stillen Mann. Fall nicht herein auf die Schönheit einer Frau / und verzehr dich nicht nach einer Frau! Zorn, Schamlosigkeit und große Schande bringt es, / wenn eine Frau für ihren Mann aufkommt. Jesus Sirach 25,20-22 (vgl. auch Jesaja 3,12a)

Jesus Sirach reagiert mit seinen zum Teil aus heutiger Sicht sexistischen Ausführungen auf eine wahrscheinlich aufgrund hellenistischem Einflusses veränderte, wesentlich stärkere soziale Stellung der Frau, die die traditionellen Rollenaufteilungen innerhalb der Ehe in Frage stellte. Die Geschichte von Adam und Eva im Garten Eden ist für ihn der Beweis, dass die Frau der Anfang aller Sünde sei (Jesus Sirach 25,24). Aber auch Adam hat freiwillig und ohne Zwang von der Frucht des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse gegessen. Und die Herrschaft des Mannes über die Frau, die Gott in Genesis 3,16 verkündet, hat auch zwei Seiten. Ohne Zweifel handelt es sich um eine patriarchalische Weltanschauung. Der Text stammt aus einer Welt, in der es selbstverständlich war, dass der Stärkere, der der Mann aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung zur damaligen Zeit war, die Frau als Schwächere und innerhalb der Gesellschaft Schutzbedürftige, beherrscht. Das hier verwendete hebräische Wort משל (gesprochen: maschal) kann sowohl Tyrannei bezeichnen (z.B. Jeremia 51,46), als auch für die gerechte Herrschaft Gottes verwendet werden (z.B. Jes 63,19).

Herrschaft oder gegenseitiges Verlangen

So wie ein Wort mehrere Sinndimensionen haben kann, so ist auch die Bibel ein vielstimmiges Konzert verschiedener Stimmen aus verschiedenen Zeiten. Deshalb sind solche Aussagen wie in Genesis 3,16 auch nicht die eine Wahrheit. Im Buch Maleachi wird die Ehefrau als Gefährtin wertgeschätzt und die Ehe wird als Bund bezeichnet, der Verpflichtungen für beide Bundespartner umschließt (Maleachi 2,14). Im Hohelied findet sich gar eine Aussage, die direkt Genesis 3,16 widerspricht. Die Geliebte anerkennt, dass sie ihrem Geliebten “gehört”, aber sie bestimmt das Verhältnis zwischen sich und ihrem Partner als egalitär:

Ich gehöre meinem Geliebten / und ihn verlangt nach mir. Hohelied 7,11

Das Verlangen, über das der Text hier spricht, wird im Hebräischen mit dem Wort תְּשׁוּקָה (gesprochen: tschuka) formuliert. Es findet sich im Alten Testament neben Genesis 4,7 nur in Genesis 3,16 und hier. Es handelt sich somit in Hohelied 7,11 um eine deutliche Anspielung auf die Strafaussage nach dem sogenannten Sündenfall, der die Geliebte widerspricht. Sie formuliert sozusagen ein Gegenstück zu

„Nach dem Mann hast Du Verlangen…“ Genesis 3,16

indem sie vom männlichen Verlangen spricht:

„… und ihn verlangt nach mir.“ Hohelied 7,11

Ein Herrschaftsverhältnis wird nicht erwähnt, stattdessen fordert die Geliebte ihren Geliebten auf in ihr gemeinsames Paradies zu gehen:

Komm, mein Geliebter, wandern wir auf das Feld, /schlafen wir in den Dörfern. Früh wollen wir dann zu den Weinbergen gehen / und sehen, ob der Weinstock treibt, ob die Rebenblüte sich öffnet, / ob die Granatbäume blühen. / Dort schenke ich dir meine Liebe. Hohelied 7,12-13

Die Geliebte im Hohelied versteht ihre Liebe nicht als Besitz, über den der Geliebte verfügen kann, sondern als freiwilliges Geschenk innerhalb einer gleichberechtigten Beziehung. Diese Perspektive wäre für Jesus Sirach sicherlich ein Graus.

Schutz und Liebe

Liebe kann sich nicht in Tyrannei äußern. Auch innerhalb patriarchalischer Strukturen des Alten Testaments ist die Funktion des Mannes nicht die eines Aggressors in der Beziehung, sondern die des Beschützers der Frau in der Gesellschaft. In diesem Kontext erhebt das Hohelied seine Stimme für die Gleichberechtigung der Frau und gegen die Idee der Herrschaft des Mannes über die Frau. Wer das Hohelied liest, versteht, dass Gewalt in der Beziehung zwischen Liebenden keinen Platz hat.


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Bildnachweis

Titelbild: Rest Area, fotografiert von „daveynin“. Lizenz: CC BY-SA 2.0.

Einzelnachweis   [ + ]

1. Vgl. „Häusliche Gewalt gegen Frauen nimmt zu“, Jacqueline Rother, Frankfurter Rundschau, 22.11.2016 [Stand: 10. Februar 2017].
2. Vgl. „Gewalt gegen Frauen. Zahlen und Fakten“, Frauen gegen Gewalt e.V. [Stand 10. Februar 2017].
3. Einmaliges Verprügeln durch die Familie wird zur Bagatelle“, Luzia Tschirky, ZEIT Online, 25. Januar 2017 [Stand: 10. Februar 2017].
4. Vgl. dazu „Gott sei Dank! Ein Sündenfall“, Dei Verbum Direkt.
Weitere Beiträge:

2 Replies

    • Danke für das Feedback! Der Verbesserungsvorschlag wurde auch direkt eingefügt. Es ist immer wichtig auch explizit darauf hinzuweisen, dass die Texte der Bibel zu einer anderen Zeit und in einer anderen “Welt” entstanden sind.