Wenn die Regierungschefs der sieben bedeutendsten Industrienationen der Welt (G71)) sich treffen, um über die großen Themen unserer Zeit zu diskutieren (Kampf gegen den Terrorismus, die aktuellen Krisen in Syrien und der Ukraine, die Verschuldung Griechenlands, den Klimaschutz und die Armutsbekämpfung)2), dann setzt kaum noch einer Hoffnungen in einen solchen Gipfel. Statt politischem Fortschritt bleiben häufig nur die Massendemonstrationen in Erinnerung – als Kommentar dazu scheint ein Psalmenwort passend:
Warum toben die Völker, warum machen die Nationen vergeblich Pläne?
G7 und ein Königspsalm
In Psalm 2 sind jedoch mit den Völkern keine Demonstrationen und mit den Plänen der Nationen keine politischen Entscheidungen für die Zukunft der Welt gemeint. Zudem würde es mehr als befremden, Vers 4 auf den G7-Gipfel zu beziehen:
Doch er, der im Himmel thront, lacht, der Herr verspottet sie [die Völker und Nationen].
Der Psalm hat seinen historischen Kontext: Es ist das Bekenntnis zum von Gott auf dem Zion eingesetzten König Israels. Hier spiegelt sich israelitische und altorientalische Königsideologie wieder. Der Text ist eine Verheißung: Der König wird mit Gott an seiner Seite seine Machtansprüche weltweit durchsetzen – dies verkündet die Gottesrede in V 9:
Du wirst sie [die feindlichen Völker und Nationen] zerschlagen mit eiserner Keule, wie Krüge aus Ton wirst du sie zertrümmern.
Vergleichbar mit ägyptischer und mesopotamischer Königsideologie wird der König Israels zudem als Sohn Gottes bezeichnet. Gott spricht zum König:
Mein Sohn bist du, heute habe ich Dich gezeugt.
Es wäre mehr als gewagt, anzunehmen, dass Gott gegen den Rest der Welt an der Seite der G7 stehe. Auch käme in unserer Zeit keiner mehr auf die Idee Regierungschefs mit dem Konzept der Gottessohnschaft bzw. Gottestochterschaft zu verstehen.3) Und dennoch ist Psalm 2 mit seiner israelitischen Königsideologie ein guter Ausgangspunkt, um über die Politik der G7 nachzudenken.
Der König und das Neue Testament
Im Neuen Testament wird in der Apostelgeschichte die Aussage über die Gottessohnschaft auf Jesus Christus und seine Auferstehung bezogen:
So verkünden wir euch das Evangelium: Gott hat die Verheißung, die an die Väter ergangen ist, an uns, ihren Kindern, erfüllt, indem er Jesus auferweckt hat, wie es schon im zweiten Psalm heißt: Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt.
Das Leben und Sterben Jesu und seine Auferstehung entspricht nicht dem Bild des von Zion über die Welt herrschenden Königs, der in Psalm 2 beschrieben wird. Er vernichtet nicht seine Feinde, sondern er stirbt als „König der Juden“ machtlos am Kreuz. Sein Sieg ist kein Sieg auf dem Schlachtfeld oder in der Politik, sondern sein Sieg ist die Überwindung des Todes und das Offenbarwerden der Liebe Gottes. Der mächtige König aus Psalm 2 wird in Jesus zum scheinbar ohnmächtigen König. Es sind diese beiden Pole, zwischen denen sich in der Bibel Antworten finden auf die Frage: Wer ist ein guter und gerechter König bzw. Regierungschef?
Der König der Gebeugten, Schwachen und Armen
Anstatt den Gipfelteilnehmern Bildbände über Bayern im Wert von insgesamt 300.000 Euro zu schenken,4) wäre es vielleicht sinnvoller gewesen, einfach eine Kopie von Psalm 72 auf die Nachttische zu legen. Es handelt sich um ein Gebet für einen König, in dem definiert wird, wie eine gerechte und gute Regentschaft auszusehen hat. Besonders im Angesicht der Weltarmut, ein wichtiges Thema der G7, ist Psalm 72 ein bedeutender Text. Bereits der Anfang ist vielsagend:
Verleih dein Richteramt, o Gott, dem König, dem Königssohn gib dein gerechtes Walten! Er regiere dein Volk in Gerechtigkeit und deine Armen durch rechtes Urteil.
Schon im Alten Orient stellt dieses Verständnis der Aufgabe des Königs eine Besonderheit dar. In Mesopotamien wurde die Gerechtigkeit in der Welt durch die Einsetzung des Königs durch die Götter etabliert. Die Aufgabe des Königs war es, durch Gesetze die Gerechtigkeit in der Welt durchzusetzen. Der hebräische Text von Psalm 72,1-2 jedoch schränkt die Macht des Königs deutlich ein. Das Richteramt, das Gott gemäß der Einheitsübersetzung dem König verliehen werden soll, basiert auf den Rechtssätzen die Gott gibt, wörtlich übersetzt heißt es am Anfang von V 1: „Gott, Deine Rechtssätze/Rechtsvorschriften gib dem König!“ Diese Aussage ist vergleichbar mit dem Königsgesetz im Buch Deuteronomium, dort heißt es:
Sein Leben lang soll er [der König] die Weisung mit sich führen und in der Rolle lesen, damit er lernt, den Herrn, seinen Gott, zu fürchten, auf alle Worte dieser Weisung und dieser Gesetze zu achten, sie zu halten.
Die Weisung, die der König bewahren soll, ist die Torah, das Gesetz Gottes, wie es im Buch Deuteronomium niedergeschrieben ist (vgl. Deuteronomium 17,18 und Josua 8,32). Psalm 72 bindet die Amtsführung nicht direkt an das Buch Deuteronomium, aber verdeutlicht, dass die Rechtssätze Gottes, die dem König als Grundlage dienen sollen, zum Schutz der Armen und Bedürftigen gegeben sind. Die Kernaufgaben des Königs werden in V 4 klar benannt:
Er wird Recht verschaffen den Gebeugten im Volk, Hilfe bringen den Kindern der Armen, er wird die Unterdrücker zermalmen.
Es geht um Gerechtigkeit, Hilfe für die Ärmsten der Armen und die Schaffung eines sozialen Gleichgewichts ohne unterdrückerische Strukturen. Es geht mit Vers 7 gesprochen darum, dass „Gerechtigkeit blühe … und ein großer Friede“.
Aber wie sollen sich solche utopisch anhörenden Aussagen in einer Welt durchsetzen, in denen nationale Interessen im Widerstreit miteinander stehen? Gerade weil nationale Interessen im Vordergrund stehen, müssen sich nach Psalm 72 diese utopischen Aussagen erfüllen. In V 9-11 wird beschrieben, wie die Völker der Welt dem im Psalmtext beschriebenen König Tribut zahlen und Huldigung erweisen. Der Grund für die Ehrerweisung durch die anderen Völker wird in V 12 angeben:
Denn er rettet den Gebeugten, der um Hilfe schreit, den Armen und den, der keinen Helfer hat.
Die internationale Anerkenntnis und Macht sind abhängig vom Kampf gegen Unterdrückung und Armut. Der Einsatz für die Schwächsten der Welt ist die Grundlage einer starken Politik. Für einen König der so handelt, verheißt der Psalm:
Sein Name soll ewig bestehen, so lange die Sonne bleibt, sprossen sein Name. Glücklich preisen sollen ihn alle Völker und in ihm sich segnen.
… und die Realität
Von manchen politischen Gipfeln bleiben nur das Händeschütteln, das Lächeln in die Kamera und die Demonstrationen im Gedächtnis. Psalm 72 liest sich heute doch eher als eine Utopie, obwohl die Taten, die der Text indirekt von den Regierenden verlangt, nichts anderes als einen Weg für eine vernünftige Realpolitik vorzeichnen.
Bildnachweis
„G7 in het Catshuis.“ von Rijksvoorlichtingsdienst. Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 2.0 über Wikimedia Commons.
Einzelnachweis
1. | ↑ | vgl. den Wikipedia-Artikel zum Stichwort “G7“. |
2. | ↑ | vgl. “Treffen in Elmau. Das sind die Gipfelthemen der G7“, Spiegel Online, 04.05.2015 [Stand: 07. Juni 2015]. |
3. | ↑ | Dem Konzept der Gottessohnschaft des israelistischen Königs liegt gemäß Psalm 2 die Idee einer Adoption zugrunde. Mit der Inthronisation wird per adoptionem der neue König durch einen sakralen Rechtsakt zum „Sohn Gottes“ erklärt. |
4. | ↑ | vgl. “Teures Geschenk für G7-Gäste: ‘A bisserl narrisch…’“, Conny Neumann, Spiegel Online, 02.06.2015 [Stand: 07.Juni 2015]. |