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Jemanden vollends töten Aktive Sterbehilfe in der Bibel

Seit dem vergangenen November werden im Deutschen Bundestag verschiedene Gesetzesentwürfe debattiert, die die sogenannte „Sterbehilfe“ regeln sollen. Besonders umstritten ist hierbei die Beurteilung der „Aktiven Sterbehilfe“: die gezielte und gewollte Herbeiführung des Todes durch das Handeln (z. B. eines Arztes) auf Grund eines tatsächlichen oder mutmaßlichen Wunsches einer schwerstkranken Person. In Deutschland fällt die „Aktive Sterbehilfe“ bisher rechtlich unter die Kategorie „Tötung auf Verlangen“ und wird mit bis zu 5 Jahren Gefängnis bestraft (Strafgesetzbuch § 216).
Der Wunsch von Sterbenden, dass Ihnen der Tod durch Fremdeinwirkung herbeigeführt wird, findet sich bereits in der Bibel. Im Alten Testament wird von zwei Bitten um aktive Sterbehilfe berichtet.

Abimelech bittet um Aktive Sterbehilfe

Im Buch der Richter wird im neunten Kapitel der Tod von Abimelech, dem ersten König in Israel erzählt. Bei der Einnahme der ephraimitische Stadt Tebez, fliehen die Einwohner in einen befestigten Turm in der Mitte der Stadt. Als Abimelech sich dem Turm nähert, um ihn samt aller Einwohner zu verbrennen, wirft eine Frau vom Dach des Turmes einen Mühlstein auf Abimelechs Kopf „und zertrümmerte ihm den Schädel“ (Buch der Richter, Kapitel 9, Vers 53). Die Zertrümmerung seines Schädels verdeutlicht die Tötung Abimelechs – dennoch äußert er im folgenden Vers gegenüber seinem Waffenträger noch einen Wunsch:

Schnell, zieh dein Schwert und töte mich! Man soll nicht von mir sagen: Eine Frau hat ihn umgebracht. Richter 9,54

Es handelt sich hier in der Bitte nicht um dieselbe Verbform wie im fünften Gebot des Dekalogs: „Du sollst nicht morden!“ (Exodus 20,13 und Deuteronomium 5,17), das die Tötung mit böser Absicht verbietet, sondern es liegt ein Verb vor, dass sich von dem hebräischen Wort für „Tod“ ableitet (hebräisch מות, gesprochen: mawet). Die Übersetzung mit „töte mich“ wird dem hebräischen Vorlagetext jedoch nicht vollends gerecht. In der Bitte Abimelechs liegt eine äußerst seltene Form des Verbes vor, die Martin Buber passend übersetzt hat: „und töte mich vollends“. Der Tod Abimelechs ist unabwendbar und er bittet seinen Waffenträger den Tod herbeizuführen. Der Waffenträger leistete Aktive Sterbehilfe „und durchbohrte“ Abimelech mit dem Schwert.
Die Handlung des Waffenträgers, die Tötung des sterbenden Abimelechs durch das Schwert, wird vom Erzähler nicht kommentiert. Die Bibel gibt kein moralisches Urteil und als Ursache des Todes Abimelechs wird nicht die Handlung des Waffenträgers erinnert sondern die Handlung der Frau, der Wurf des Mühlsteins (siehe 2 Samuel 11,21).

Saul bittet um Aktive Sterbehilfe

Im ersten Buch Samuel wird im 31. Kapitel der Tod des ersten gesamt-israelitischen Königs, Saul berichtet. Im Angesicht der verlorenen Schlacht gegen die Philister und der sich auf Saul richtenden Bogenschützen, bittet Saul seinen Waffenträger:

Zieh dein Schwert und durchbohre mich damit! Sonst kommen diese Unbeschnittenen, durchbohren mich und treiben ihren Mutwillen mit mir. 1 Samuel 31,4

Der Waffenträger verweigert ihm diesen Wunsch und Saul stürzt sich selbst in sein eigenes Schwert. In 2 Samuel 1,1-16 wird jedoch berichtet, dass der Sturz Sauls in sein Schwert nicht seinen Tod herbeigeführt hat. Ein Mann aus dem Lager Sauls, ein Amalekiter der vom Schlachtfeld zurückkehrt, berichtet David, dass er Saul erst auf dessen Wunsch hin getötet hat. Der Mann zitiert David den Todeswunsch Sauls:

Da sagte er [Saul] zu mir: Komm her zu mir und töte mich! Denn mich hat ein Schwächeanfall1) erfasst, aber noch ist alles Leben in mir. 2 Samuel 1,9

In der erzählten Bitte Sauls findet sich dieselbe Verbform wie in der Bitte Abimelechs: „Töte mich vollends!“ Saul bittet um aktive Sterbehilfe und der Amalekiter handelt entsprechend dem Wunsch Sauls. Der Amalekiter begründet seine Tat mit der Aussage:

Ich ging also zu ihm [Saul] hin und tötete ihn; denn ich wusste, dass er seine Niederlage nicht überleben würde. 2 Samuel 1,10

Die Übersetzung mit „Niederlage“, wie sie die Einheitsübersetzung hier anbietet, ist fehlführend. Hier wie in 1 Samuel 31,4 findet sich dasselbe hebräische Wort: Saul ließ sich ins Schwert „fallen“ (1 Samuel 31,4) und der Amalekiter erkannte, dass Saul diesen „Fall“ nicht überleben wird (2 Samuel 1,10). Der Amalekiter sagt damit aus, dass er die Selbsttötung Sauls, auf dessen eigenen Wunsch zuende gebracht und nur den unvermeidlichen Tod herbeigeführt hat. Anders als im Fall Abimelechs bzw. des Waffenträgers Abimelechs wird die Tat des Amalekiter jedoch verurteilt. David fragt ihn:

Wie kommt es, dass du dich nicht davor gefürchtet hast, deine Hand auszustrecken, um den Gesalbten des Herrn umzubringen? 2 Samuel 1,14

David verurteilt die Tat und befiehlt die Hinrichtung des Amalekiter als Mörder.

Todeswunsch und Gottesfurcht

Beide Geschichten weisen auf einen wichtigen Aspekte innerhalb der Diskussion um die aktive Sterbehilfe hin: Handelt es sich bei aktiver Sterbehilfe um eine zu verurteilende Tötung oder ist aktive Sterbehilfe eine nicht zu verurteilende Herbeiführung des unvermeidlichen Todes aufgrund des Wunsches des Sterbenden? Dabei fällt in beiden Geschichten auf, dass der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe nicht beurteilt und nicht verurteilt wird. Einen weiteren wichtigen Aspekt betont besonders die Geschichte um den Tod Sauls: Was bedeutet aktive Sterbehilfe für denjenigen, der sie am Sterbenden ausführen soll? Besonders auffallend ist im Zusammenhang mit dieser Frage, dass der Waffenträger die Tötung Sauls ablehnt, weil er sich „fürchtet“. Und der Amalekiter wird von David zum Tode verurteilt, weil er sich nicht „gefürchtet“ hat Saul zu töten. In beiden Fällen steht im hebräischen Text das Verb ירא (gesprochen: jara). Dieser Begriff kann in der Hebräischen Bibel die einfache Bedeutung „Furcht vor etw.“ haben, er wird aber auch verwendet, um den hebräischen Begriff für Gottesfurcht zu bilden (יראת יהוה, gesprochen: jerat adonaj). In der Frage Davids in 2 Samuel 1,14 wird deutlich, dass die Tötung Sauls auch eine Handlung gegen Gott darstellt und der Gottesfurcht widerspricht, über die es im Buch Kohelet heißt: „Fürchte Gott und achte auf seine Gebote!“ (Kohelet 12,13). Nun gibt es im Alten und auch im Neuen Testament kein Gebot Gottes, dass die aktive Sterbehilfe regelt – und auch wenn es ein biblisches Gesetz geben würde, wäre dies nicht der Schlussstrich unter die Diskussion zu diesem Thema. Allerdings verweist der Begriff der Furcht bzw. der Gottesfurcht darauf, dass der Mensch sich für seine Taten verantworten muss – gegenüber anderen und gegenüber Gott. Wolfhart Pannenberg (1928-2014), ein bedeutender evangelischer Theologe, schreibt über die Gottesfurcht: „Gott fürchten – das heißt, Gott als Gott anzuerkennen in seiner Erhabenheit und Macht, als den Schöpfer, von dem unser Leben in jedem Augenblick abhängt, und als den Richter, vor dem nichts verborgen bleibt.“2) Im Bezug auf die Frage nach der aktiven Sterbehilfe bedeutet dies, dass derjenige der die Sterbehilfe erbittet und derjenige, der gewillt ist die Bitte zu erfüllen, sich vor Gott zu verantworten hat. In diesem Kontext kann die Anfrage berechtigt sein, ob es einen „Zwang zum Qualtod“, wie Peter Hintze die momentane Gesetzeslage zur Sterbehilfe beschreibt, geben darf:3) Kann Gott einen qualvollen Tod wollen? Allerdings ist zugleich die Verantwortung des Menschen gegenüber Gott zu bedenken, dem die Bibel die „Macht über den Tag des Todes“ (Kohelet 8,8) zuschreibt und es stellt sich die Frage: Was bedeutet es zu Gott zu beten: „In deiner Hand sind meine Zeiten“ (Psalm 31,16)?

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Bildnachweis

Tod von Abimelech – www.depositphotos.com

Einzelnachweis   [ + ]

1. Die Begründung für diesen Wunsch liegt der Einheitsübersetzung nach in einem Schwächeanfall – im Hebräischen Text lautet das mit „Schwächeanfall“ übersetzte Wort שבץ (gesprochen: schevetz). Dieses Wort kommt nur einmal im Alten Testament vor und seine Bedeutung ist unbekannt. Bereits die ältesten Übersetzungen sind sich uneinig, so ist das Wort in den aramäischen Targumim mit „Zittern“ und in der syrischen Peshitto mit „Schwindelgefühl“ übersetzt. In der ältesten Übersetzung, der Septuaginta ist das Wort im Griechischen mit σκότος δεινόν (gesprochen: skotos deinon), „eine schreckliche Finsternis“ wiedergegeben.
2. W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, Göttingen 1993, S. 216.
3. Peter Hintze in seiner Rede vor dem Bundestag in der Debatte zur Sterbebegleitung am 13. November 2014: „Ich halte es für unvereinbar mit dem Gebot der Menschenwürde, wenn aus dem Schutz des Lebens ein Zwang zum Qualtod würde.“ peter-hintze.de
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1 Reply

  1. Eine eindeutige Aussage zur Sterbehilfe gibt es demzufolge auch in der Bibel nicht. Die Thematik ist kein starres Gebilde. Sie ist lebenswichtig und gleichermaßen von der Ehrfurcht vor dem Tod- wie vor dem Leben geprägt. Es bleibt die Möglichkeit im absoluten Respekt vor Gott und getragen von der eigenen Verantwortung, die subjektive Entscheidung im Einzelfall (unheilbar, qualvolle tödliche Erkrankung) zu unterstützen und mit den Folgen zu leben.
    Dieser Freiraum, der letztlich im Herzen und in der Vielfalt der Überlegungen angesiedelt ist, veranschaulicht die Ernsthaftigkeit der Barmherzigkeit Gottes.