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Ein verheißungsvoller Anfang Biblisches Psychogramm einer öffentlichen Tragödie


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Ideen sind wie Kinder. Sie stehen oft für einen Anfang voller Verheißung, einen Aufbruch voller Hoffnung auf eine glückliche Zukunft. Verheißungsvolle Visionen unterscheiden sich von der Utopie durch Erfahrungen, die die Hoffnung begründen. So kann der Psalmist sich angesichts feindlicher Bedrohung hoffnungsvoll klagend an Gott wenden:

Gott, wir hörten es mit eigenen Ohren, unsere Väter haben uns erzählt von dem Werk, das du in ihren Tagen vollbracht hast, in den Tagen der Vorzeit. Psalm 44,2

Gott hat sein Volk immer wieder aus Bedrängnis errettet – er wird es auch jetzt wieder tun. Es mag scheinen, als hätte er sich abgewendet, so dass dem Volk nur die Flucht vor den Bedrängern bleibt. In den Tagen der Vorzeit aber hat er immer wieder Wege der Rettung aufgezeigt. Aus dieser Erfahrung nährt sich die Hoffnung auf einen neuen verheißungsvollen Anfang.

Brüder, zur Sonne, zur Freiheit

Mit den “Tagen der Vorzeit” übersetzt die Einheitsübersetzung 2016 die hebräische Wendung בימי קדם (gesprochen: bimei keddem). Das Wort קדם (gesprochen: keddem) findet sich auch in der Erzählung vom Aufbruch Jakobs. Dieser hatte sich von Isaak den Erstgeburtssegen erschlichen, der eigentlich seinem Zwillingsbruder Esau zugestanden hätte (vgl. Genesis 27,1-44). Gott bestätigt den Gesegneten (vgl. Genesis 28,10-22). Dessen Erwählung gilt. Und doch muss sich der Betrüger vor dem Betrogenen fürchten. Der Segen liegt nun wie ein Fluch auf ihm. So flieht er auf Geheiß seiner Mutter Rebekka, die um den Verlust beider Söhne fürchten muss, zu deren Bruder Laban in Haran:

Jakob machte sich auf und zog ins Land der Söhne des Ostens. Genesis 29,1

Die Söhne des Ostens heißen auf Hebräisch בני־קדם (gesprochen: beni-keddem)1). קדם hat also eine vielschichte Bedeutung. Es bezeichnet sowohl die Himmelsrichtung, kann als temporale Wendung aber auch den Aufbruch bezeichnen, der zur Grundlage für die Zukunft wird. Beides findet seinen Bezugspunkt in der im Osten aufgehenden Sonne, mit der jeder Tag mit einer neuen Verheißung beginnt – einer verlässlichen Verheißung, denn die Sonne geht zuverlässig auch morgen wieder auf wie an allen bisherigen Tagen.

Erfahrungsgesättigte Hoffnung bewirkt Gewissheit; freilich eine Gewissheit, dass das Erhoffte zukünftig Wirklichkeit werden wird, jetzt aber noch nicht wirklich ist. So stellt Paulus fest:

Auf Hoffnung hin sind wir gerettet. Hoffnung aber, die man schon erfüllt sieht, ist keine Hoffnung. Denn wie kann man auf etwas hoffen, das man sieht? Hoffen wir aber auf das, was wir nicht sehen, dann harren wir aus in Geduld. Römer 8,24-25

Wer hofft, richtet seinen Blick also nicht auf utopische Illusionen. Der Hoffnung wohnt eine tiefe innere Gewissheit ein, dass sich das Erhoffte ereignen wird – auch wenn der Zeitpunkt des Eintretens des Erhofften in Geduld abgewartet werden muss. Es ist gerade diese Hoffnung auf einen immer wieder neuen verheißungsvollen Aufbruch, der auch in den alten Arbeiterliedern zur Sprache kommt, die den Aufstieg aus einer hoffentlich vergangenen Unterdrückung in eine glückliche Zukunft besingen – so auch das Lied “Brüder, zur Sonne, zur Freiheit”, das neben “Wann wir schreiten Seit’ an Seit'” als Parteihymne der SPD gilt und zum Ende von Parteitagen angestimmt wird. In der ersten Strophe des Liedes heißt es:

Brüder, zur Sonne, zur Freiheit,
Brüder zum Licht empor!
Hell aus dem dunklen Vergangnen
leuchtet die Zukunft hervor.
Hell aus dem dunklen Vergangnen
leuchtet die Zukunft hervor.

Abgekanzelt

Die einstmals stolze Arbeiterpartei sucht in diesen Tagen so offenkundig ihre eigene Mitte, dass ihr Verhalten an die Ich-Identitätsdiffusion erinnert, die Erik H. Erikson in seinem Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung im Jugendalter verortet. Sie stellt den Gegenpol zu Findung einer stabilen Ich-Identität dar, deren Ausprägung als Hauptaufgabe des Jugendlichen gilt. Zu wissen, wer man ist, ist notwendig, um den eigenen Platz in der Gesellschaft finden und verorten zu können. Bleibt diese Ich-Findung aus, führt das nach Erik H. Erikson zur Zurückweisung. Damit einher geht ein Rückzug aus der Gesellschaft, Unruhe, aber auch Hang zu vorschneller Begeisterung. Es ist frappierend, wie sehr die SPD der Gegenwart dem idealtypischen Modell einer Ich-Identitätsdiffusion entspricht: Noch vor Jahresfrist wurde Martin Schulz mit an Utopie grenzenden 100% auf den Schild des Parteivorsitzenden gehoben2) und der Schulz-Zug des von den Jusos mit dem Hashtag #Gottkanzler3) als Messias Gefeierten begann zu rollen. Doch schon wenige Wochen später nach drei verlorenen Landtagswahlen musste man erkennen, dass dieser Messias zwar Wein in Wasser verwandeln, nicht aber übers Wasser laufen kann. Die Identitätskrise erlangte schließlich ihren Höhepunkt, als die SPD bei der Bundestagswahl am 24. September 2017 nicht nur ihr schlechtestes Ergebnis der Nachkriegszeit einfuhr, sondern der Parteivorsitzende Martin Schulz die Niederlage zum Aufbruch umdeutete und bereits drei Minuten nach Bekanntwerden der Prognose ankündigte, man werde nun in die Opposition gehen, woraufhin die Anhänger der SPD in kollektiven Jubel ausbrachen, als habe man eben die absolute Mehrheit gewonnen.

Typisch für die Zeit der Jugend und die mit ihr verbundenen Identitätskrisen ist auch die Unfähigkeit, Verantwortung zu übernehmen. Bereits die sogenannte Erzählung vom Sündenfall, die doch eher ein Mythos der Individuation des Menschen ist, der lernen muss, sein Leben mit Verstand und Verantwortung zu bewältigen und sich gerade darin als Geschöpf erweist, das Gott nach seiner Idee erschaffen hat, bringt dieses Unvermögen zum Ausdruck, wenn der Mensch, der zu einem männlichen und einem weiblichen Wesen geworden ist, die Verantwortung für das Genießen der Früchte vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse nonchalant weiterreicht:

Aber Gott, der HERR, rief nach dem Menschen und sprach zu ihm: Wo bist du? Er antwortete: Ich habe deine Schritte gehört im Garten; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich. Darauf fragte er: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du von dem Baum gegessen, von dem ich dir geboten habe, davon nicht zu essen? Der Mensch antwortete: Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben. So habe ich gegessen. Gott, der HERR, sprach zu der Frau: Was hast du getan? Die Frau antwortete: Die Schlange hat mich verführt. So habe ich gegessen. Genesis 3,9-13

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In der Politik wird gegenwärtig zuviel mit gespaltener Zunge gesprochen. Heute Ja, morgen nein - die Wähler haben ein feines Gespür für den Versuch der Verführung. Für manchen wäre es besser gewesen, er hätte sich bezeiten auf die Zunge gebissen.

Nein! Doch! Oh!

Die SPD erlebte also den Sündenfall, der darin besteht, die Verantwortung weiterzureichen. Nicht die eigene Unfähigkeit, Stellung zu bewahren, Visionen zu entwickeln und Seit’ an Seit’ vorwärts zu gehen, wurde als Ursache der Krise erkannt, sondern die dem unseligen Hang zu infantilen Abkürzungen anhängend als Groko bezeichnete Große Koalition mit CDU und CSU. In Verkennung der Tatsache, dass die Wählerinnen und Wähler den Parteien dieser Großen Koalition immerhin einen Gesamtstimmenanteil von 53,4% und damit eine Mehrheit zugestanden hatten, wurde kolportiert, dass die Große Koalition abgewählt worden sei. Und die Schiebereien gingen weiter. Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen stellte Martin Schulz erneut im Brustton der Überzeugung fest, man stehe für eine Große Koalition, die ja angesichts der geschrumpften Stimmanteile de facto nicht mehr ganz so groß sein wird, nicht zur Verfügung, fordert aber stattdessen Neuwahlen4), obschon diese verfassungsrechtlich erst nach der Wahl einer Bundeskanzlerin bzw. eines Bundeskanzlers möglich sind5). Ohne eine solche Wahl, die mindestens drei Wahlgänge umfasst und voraussetzt, dass auch in einem dritten Wahlgang, in dem die einfache Mehrheit der Mitglieder des Bundestages reicht, kann der Bundespräsident den Bundestag auflösen und Neuwahlen anordnen, sofern eine solche Mehrheit von den Kandidatinnen bzw. Kandidaten für das Bundeskanzleramt nicht erreicht wird. Das Gerede um und Fordern von Neuwahlen offenbart also zuerst nur eins: eine solide Unkenntnis um die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland.

Überhaupt werden viele Worte gemacht, deren Verbindlichkeit kaum niedrig genug eingeschätzt werden kann. Was bei Sonnenuntergang im Schutz der Dunkelheit gesagt wird, offenbart sich beim Licht des beginnenden Tages als semantisch verwestes Geräusch, das man aus Respekt noch nicht einmal mehr Geschwätz nennen kann. Derselbe Martin Schulz, der auf Nachfragen ein mögliches Ansinnen, in ein Kabinett Merkel eintreten zu wollen, brüsk zurückweist6), will nun doch Außenminister werden, wodurch wiederum der Amtsinhaber Sigmar Gabriel brüskiert wird7). Der so Geschasste weiß nicht nur aus Erfahrung, welche Hebel er ziehen muss; Martin Schulz selbst hat sich mittlerweile dergestalt als Meister der semantischen Kontorsion erwiesen, dass auch die letzten Genossinnen und Genossen nur noch wissen, woran sie mit ihm nicht sind. Es folgt mit Rücktritt vom Parteivorsitz und Verzicht auf das Außenministerium8) die Vertreibung aus dem Paradies der deutschen Sozialdemokratie. Aufstieg und Fall des Martin Schulz zeigen damit Züge eines komödiantischen Paradigmas, das unaufgebbar mit dem Franzosen Louis de Funès verbunden ist: Nein! Doch! Oh!

Identitätsfundamente

Die gegenwärtige Identitätskrise der SPD hat viele Ursachen. Eine liegt darin, dass sie sich zu einer Protestpartei zu entwickeln droht. Nach dem Hashtag #Gottkanzler haben die Jusos einen neuen digitalen Meinungsmacher an den Start gebracht: #NoGroKo. Ohne eine echte Alternative benennen zu können, macht sich der Juso-Chef Kevin Kühnert mit dem jungenhaften Charme Pubertierender, die noch keine echte Verantwortung für ihr Leben übernehmen müssen, weil da noch die elterlichen Autoritäten im Zweifelsfalle rettend eingreifen können, daran, den Altvorderen zu zeigen, dass man alles besser weiß – nur eben noch nicht, wer man selbst ist. Genau das aber wäre die Aufgabe, der sich die SPD stellen muss, ohne in das infantile Gehabe der designierten Nachfolgerin des Parteivorsitzenden Martin Schulz zu verfallen, die zwischen “Bätschi”, “Morgen gibt es auf die Fresse” und rumpelstilzchenhafter Rhetorik noch die angemessene Form für das neue Amt suchen muss.

Es ist zwar bekannt, dass die SPD wohl eher wenig in der Bibel nach Ratschlägen sucht. Auf der Suche nach dem eigenen Ich könnte sie aber im 2. Korintherbrief fündig werden, jenem Brief, mit der Paulus als Gründungsvater der korinthischen Gemeinde die schwere Krise, die zwischen ihm und den Korinthern entstanden ist, zu bewältigen. Diese Krise verursacht ihm eine große Bedrängnis (θλίψις – gesprochen: thlípsis) und Herzensnot (συνοχῆς καρδίας – gesprochen: synochés kardías), so dass er nach einer überstürzten Abreise aus der Ferne einen Brief schreibt, der in der Exegese als “Tränenbrief” bezeichnet wird:

Denn ich schrieb euch aus großer Bedrängnis und Herzensnot, unter vielen Tränen, nicht um euch zu betrüben, nein, um euch meine übergroße Liebe spüren zu lassen. 2 Korinther 2,4

Ursache für den Konflikt war die Infragestellung der Lauterkeit (εἰλικρίνεια – gesprochen: eilikríneia) des Apostels angesichts der Kollekte für die Jerusalemer Urgemeinde. Εἰλικρίνεια meint dabei auch die Reinheit der Gesinnung. Unabhängig von der Ursache der εἰλικρίνεια bestehen damit gewisse Parallelen zwischen der paulinisch-korinthischen Krise und der Identitätskrise der gegenwärtigen SPD, die sich im kontradiktorischen Gewirr der Statements auswirkt. Paulus selbst ringt nicht nur um sein Verhältnis zur Gemeinde; er möchte es auch wieder heilen. Dazu gibt es nur einen einzigen möglichen und wirksamen Ausgangspunkt. Mit der Therapie beginnt er bei sich selbst. Schließlich hatten die Korinther seine scheinbare Wankelmütigkeit anlässlich versprochener, aber dann doch geänderter Reisepläne als Ausweis seiner Unlauterkeit angesehen. Deshalb stellt er fest:

Wir schreiben euch nichts anderes, als was ihr lest und kennt; ich hoffe, ihr werdet noch ganz erkennen, wie ihr uns zum Teil schon erkannt habt, nämlich dass wir euer Ruhm sind, so wie ihr unser Ruhm seid, am Tag unseres Herrn Jesus. In dieser Zuversicht wollte ich zunächst zu euch kommen, damit ihr ein zweites Mal Gnade erfahren hättet. Von euch wollte ich dann nach Mazedonien weiterreisen und von Mazedonien zu euch zurückkommen, um von euch für die Reise nach Judäa ausgestattet zu werden. Dies also wollte ich. War ich dabei etwa leichtsinnig? Oder will ich das, was ich will, dem Fleische nach, sodass bei mir zugleich Ja, ja und Nein, nein gilt? Gott ist treu, er bürgt dafür, dass unser Wort euch gegenüber nicht Ja und Nein zugleich ist. Denn Gottes Sohn Jesus Christus, der euch durch uns verkündet wurde – durch mich, Silvanus und Timotheus -, ist nicht als Ja und Nein zugleich gekommen; in ihm ist das Ja verwirklicht. Denn er ist das Ja zu allem, was Gott verheißen hat. Darum ergeht auch durch ihn das Amen zu Gottes Lobpreis, vermittelt durch uns. 2 Korinther 1,13-20

Er hat Ja! Gesagt ...

Dass ein Ja ein Ja und ein Nein ein Nein sein soll, das sagt auch Jesus in Matthäus 5,37. Paulus aber geht darüber hinaus. Er hat eindeutig Ja! zur Gemeinde gesagt – ohne jeden Hintergedanken. Deshalb kann man sich auch auf das verlassen, was er schreibt. Er schreibt nicht zwischen den Zeilen, er politisiert nicht, er kennt keine rhetorischen Hintertürchen. Er bekennt sich – trotz aller von Teilen der Gemeinde verursachten Bedrängnis und Herzensenge – zu ihr. Mehr noch: Er bezeichnet die Gemeinde als seinen Ruhm (καύχημα – gesprochen: kaúchema), der am Tag des Herrn Jesus, also beim göttlichen Gericht, offenbar werden wird.

Gerade weil vor Gott nichts verborgen bleiben kann, begründet er von hier aus seine Glaubwürdigkeit. Seine so begründete Verbundenheit mit der korinthischen Gemeinde ist auch der Anlass für die Zuversicht bzw. das Vertrauen, mit dem er die Gemeinde erneut besuchen wollte9). Der sogenannte korinthische Vorfall (vgl. 2 Korinther 2,5)10), bei dem Paulus von einem Gemeindemitglied wohl scharf angegriffen wurde, hatte eine Änderung der ursprünglichen Pläne nötig gemacht, auf die Paulus hier eingeht. Dreh- und Angelpunkt seiner Argumentation ist die Geltung seines geschriebenen bzw. gesprochenen Wortes. Es gibt keine Hintertürchen, keine Hintergedanken, keine rhetorischen Hinterhalte: Er sagt, was er meint! Genauer: Er sagt Ja!, denn nur aus dem Ja heraus kann sich Identität bilden. Theologisch begründet Paulus das darin, dass Gott in Jesus Christus selbst Ja! zur Welt sagt.

Nur wer sich zu etwas bekennt, kann sagen, wofür er steht. Wer lediglich benennt, wofür er nicht steht, mag darin eindeutig sein – nur: er sagt noch nicht, wer er ist.

#NoGroKo - Quo vadis?

Die rhetorische Strategie des Paulus ist wirkungsvoll, wenn er die Schlussfolgerung seiner kurzen Erörterung um das Ja und das Nein einmünden lässt in die ultimativ zustimmende Bestätigung des Ja! in einem liturgischen Amen!:

Darum ergeht auch durch ihn das Amen zu Gottes Lobpreis, vermittelt durch uns. 2 Korinther 1,20

Dem kann sich wohl kaum jemand aus der Gemeinde entziehen. Im bestätigenden Amen!, das Paulus und die Gemeinde verbindet, vollzieht sich die wechselseitige Gemeinschaft, selbst über die Distanz hinweg. Es ist die positive Zustimmung, dass das Ja!, das Bekenntnis zu Jesus Christus als gemeinsamen Fundament, die neue Identität begründen soll. Von hier aus kann ein neuer verheißungsvoller Anfang gewagt werden.

Die SPD aber sucht noch ihren Weg. Das Volk hat zwar gewählt, den sozialdemokratischen Mandatsträgern im Bundestag traut man aber wohl nicht über den Weg, wenn es um die Koalition mit CDU und CSU geht. Und so werden Parteitage und Mitgliederbefragungen bemüht, ein Verfahren, das zwar rechtens ist11), aber doch Fragen aufwirft, weil diejenigen, die die SPD sicher nicht gewählt haben, weil sie in die Opposition gehen soll, die Zahl der Mitglieder der ehemals ruhmreichen Sozialdemokratie weit übersteigt. Die Verantwortung wird also wieder einmal wegdelegiert.

Vorwärts! Seit' an Seit'!

Als Jakob nach langen Jahren und um viele Erfahrungen reicher heimkehrt, wissend, dass die Auseinandersetzung mit dem betrogenen Zwillingsbruder Esau bevorsteht, weiß er, dass sich etwas ändern muss. Er muss sich selbst neu bestimmen. Die Erzählung schildert das auch als Ringen mit Gott, das Spuren hinterlässt:

Als er allein zurückgeblieben war, rang mit ihm ein Mann, bis die Morgenröte aufstieg. Als der Mann sah, dass er ihn nicht besiegen konnte, berührte er sein Hüftgelenk. Jakobs Hüftgelenk renkte sich aus, als er mit ihm rang. Er sagte: Lass mich los; denn die Morgenröte ist aufgestiegen. Er entgegnete: Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest. Er fragte ihn: Wie ist dein Name? Jakob, antwortete er. Er sagte: Nicht mehr Jakob wird man dich nennen, sondern Israel – Gottesstreiter – ; denn mit Gott und Menschen hast du gestritten und gesiegt. Genesis 32,25-29

Auch Spuren des Ringens sind Erfahrungen. Die Morgenröte der aufsteigenden Sonne wird zum Sinnbild des neuen Anfangs – eines Anfangs, der mit dem neuen Namen “Israel” auch eine neue Identität begründet. Auf der Verheißung dieses Anfangs kann die Zukunft gründen.

Nun wird es Zeit, dass auch die alte Dame SPD nach einer infantilen Phase wieder erwachsen wird und aus der Gewissheit der Vergangenheit in eine bessere Zukunft aufbricht. Erfahrung genug sollte sie ja haben. Ideen sind wie Kinder. Jedes Kind ist ein verheißungsvoller Anfang – קדם. Jetzt braucht die SPD wieder eine neue Idee. Auf jetzt, Vorwärts! Und zwar Seit’ an Seit’. Zeigt dass ihr Ideen habt, statt einfach Nein! zu sagen. Ihr wart doch mal die Partei der Progression, des Fortschritts. Das Volk hat schließlich gewählt!

Für קדם und ihre Eltern Till Magnus und Ory – Kleines Geschenk zum Anfang aus dem Westen.

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Bildnachweis

Titelbild: Selbstachtung (geralt) – Quelle: pixabay – lizenziert als CCO.

Bild 1: Flinke Zunge (Werner Kleine) – lizenziert als CC BY-SA 3.0.

Einzelnachweis   [ + ]

1. Till Magnus Steiner weist im Gespräch darauf hin, dass die die “Söhne des Ostens” in 1 Könige 5,10 auch für große Weisheit stehen, es aber durchaus auch negativ konnotierte Darstellungen gibt, die – wie etwa in Richter 6,3 – in ihnen eine Bedrohung sehen.
2. Vgl. https://www.tagesschau.de/inland/spd-schulz-parteichef-101.html [Stand: 10. Februar 2018].
3. Vgl. hierzu https://www.n-tv.de/politik/Bei-der-Union-lacht-niemand-mehr-article19759174.html [Stand: 10. Februar 2018].
4. Vgl. hierzu Lars Haferkamp, SPD-Chef Schulz: Neuwahlen statt Neuauflage der großen Koalition, in: vorwärts online, 20.11.2017, Quelle: https://www.vorwaerts.de/artikel/spd-chef-schulz-neuwahlen-statt-neuauflage-grossen-koalition [Stand: 10. Februar 2018].
5. Vgl. hierzu Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Art. 63. – https://www.bundestag.de/gg[Stand: 11. Februar 2018].
6. Vgl. hierzu Daniel Friedrich Sturm, Frage zu Merkel bringt Schulz völlig aus dem Konzept, in: Welt online, 25.9.2017, Quelle: https://www.welt.de/politik/deutschland/article169028979/Frage-zu-Merkel-bringt-Schulz-voellig-aus-dem-Konzept.html [Stand: 10. Februar 2018].
7. Vgl. hierzu http://www.dw.com/de/groko-schulz-wird-außenminister-seehofer-innenminister/a-42474373 [Stand: 10. Februar 2018].
8. Vgl. hierzu http://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-02/berichte-schulz-verzichtet-auf-aussenministerium [Stand: 11. Februar 2018].
9. Zu den paulinischen Reiseplänen vgl. auch Werner Kleine, Zwischen Furcht und Hoffnung. Eine textlinguistische Untersuchung des Briefes 2 Kor 1-9 zur wechselseitigen Bedeutsamkeit der Beziehung von Apostel und Gemeinde, BBB 141, Berlin 2003, S. 50-54.
10. Vgl. hierzu Werner Kleine, Zwischen Furcht und Hoffnung. Eine textlinguistische Untersuchung des Briefes 2 Kor 1-9 zur wechselseitigen Bedeutsamkeit der Beziehung von Apostel und Gemeinde, BBB 141, Berlin 2003, S. 54-56.
11. Vgl. hierzu https://www.tagesschau.de/inland/spd-mitgliederentscheid-103.html [Stand: 10. Februar 2018].
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