Kapitel
Ecclesiastica

Unerträgliche Worte Über die Notwendigkeit prophetischer Kritik in der Kirche


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Die einen kritisieren, die anderen kritisieren die Kritik. Manche suchen eine Maria 2.0, aber meinen damit doch nicht die die stille Magd Gottes, die sagt: „mir geschehe, wie du gesagt hast“ (Lukas 1,38). Wo sind die Ruts, Esthers und Judits der Kirche, die in der patriarchalen Gesellschaft doch die Geschichte entscheiden? Wo ist eine wie Zippora, die mit einem Stein und durch Blut den großen Anführer Israels, Mose, rettet (siehe Exodus 4,24-26)? Und die Stimmen der Opfer, der von Priestern Unterdrückten und missbrauchten – wird ihre Anklage, die auf den Straßen Roms verklang, doch erhört werden? Oder wird man sich am Ende nur im Kreis drehen und sich gegenseitig vorwerfen, dass die andere Seite die Missbrauchskrise instrumentalisiert? Sind strukturelle Reformen und die Neuausrichtung am Evangelium wirklich entgegengesetzte Pole?

Erhören!

Wir leben in Zeiten, in der es einer prophetischen Kritik in der Kirche bedarf! Das Problem mit Propheten ist jedoch, dass man erst im Nachhinein weiß, ob sie recht hatten oder Scharlatane waren (siehe Deuteronomium 18,15-22). Die Tradition hat in den alttestamentlichen Schriften eine Vielzahl von Fällen bewahrt und als Mahnmale aufgestellt, in denen eine prophetische Kritik nicht ernstgenommen wurde und am Ende Gottes Zorn nicht mehr aufzuhalten war.

seine Worte sind unerträglich für das Land. Amos 7,10

Der einfachste Weg, mit Kritik umzugehen, ist nicht auf sie zuhören. Aber wenn die Kritik einen Nerv getroffen hat, der nun schmerzt, dann hilft es nur die Quelle des Schmerzes zu isolieren. Nein, nicht der Nerv wird dann geheilt, sondern der Kritik wird ihr Stachel gezogen – sie entstamme weder einer Orthodoxie noch einer Orthopraxis. Im Buch Amos sind es die messerscharfe Analyse der gesellschaftlichen Missstände und der Sinnlosigkeit eines Kultes ohne zwischenmenschliche Gerechtigkeit, die unerträgliche Worte für den Priester und den König des Landes sind. Das Lösungsmodell der Hierarchie ist denkbar einfach:

Seher, geh, flieh ins Land Juda! Iss dort dein Brot und prophezeie dort! In Bet-El darfst du nicht mehr prophezeien; denn das hier ist das königliche Heiligtum und der Reichstempel. Amos 7,12-13

Es gilt doch das Hausrecht! Amos stammt nicht einmal aus dem Nordreich, dem er den Untergang voraussagt wird. Daher solle er besser dorthin verschwinden, wo er hergekommen ist. Der Kern der Kritik wird nicht einmal thematisiert – denn Amos muss als derjenige, der Kritik äußert, ja unlautere Motive haben. Das ist doch alles nur Schau und dient dem Broterwerb! Ja, auch heute ist es doch noch populär die Kirche zu kritisieren. So erreicht man Einschaltquoten und hohe Auflagen. Hinter solchen Argumenten verschwindet die Kritik – aber nicht die prophetische Kritik eines Propheten wie Amos:

Ich bin kein Prophet und kein Prophetenschüler, sondern ich bin ein Viehhirte und veredle Maulbeerfeigen. Amos 7,14

Amos ist weder ein Priester noch ein Hofbeamter. Er verdient kein Geld, indem er sich unbeliebt macht. Sondern er bestreitet seinen Lebensunterhalt damit, dass er saure Maulbeerfeigen, während sie heranwachsen, einritzt, damit sie am Ende süß wird. Seine Worte haben ein ebensolches Potential. Aber die Gesellschaft, die er kritisiert, verblutet nur und wird von Gottes Zorn vernichtet. Dem gegenüber Kritik unempfänglichen Priester prophezeit Amos die Radikalität des göttlichen Strafgerichts:

Du sagst: Prophezeie nicht gegen Israel und geifere nicht gegen das Haus Isaak! Darum – so spricht der HERR: Deine Frau wird zur Hure in der Stadt, deine Söhne und Töchter fallen unter dem Schwert, dein Boden wird mit der Messschnur verteilt, du selber stirbst auf unreinem Boden und Israel muss in die Verbannung ziehen, fort von seinem Boden. Amos 7,17

Der Laie Amos verkündet dem Priester Amazja das Wort Gottes. Ja, eine Besinnung auf das Evangelium Gottes wäre die bessere Reaktion gewesen. Auch heute ist es noch die Aufgabe der Priester Kritik im Lichte des Willens Gottes zu prüfen. Das Treffen der Vorsitzenden der Bischofskonferenzen in Rom war ein Anfang – aber was lernen wir aus der Kritik im Lichte des Evangeliums? Um eine echte Antwort darauf zu gewinnen, muss die Kirche aufhören einen Schatten zu werfen. Ja, das Schattenfechten von rechts und links sollte der Besinnung weichen, welchen Auftrag die Kirche in dieser Welt hat: Wunden zu heilen und nicht sie zu verursachen.

Er hört!

Unerträgliche Worte – so ist es der biblische Glauben – verklingen nicht einfach. Sie haben Bedeutung. Die Worte Amos hat die Tradition als Fundament des Glaubens fest verankert. Und heute gilt noch immer, was schon für das Volk Israel im Sklavenhaus Ägypten galt:

Der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne sein Leid. Ich bin herabgestiegen, um es der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen, … . Exodus 3,7-8

Gott findet sich nicht im Für und Wider, sondern an der Seite der Unterdrückten – und er diskutiert nicht lange, sondern handelt.

Dr. Werner Kleine und Dr. Till Magnus Steiner haben vor Kurzem in "Dei Verbum direkt" über das Buch Amos diskutiert.
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Bildnachweis

Titelbild: Hand, Mann, Staub , pxhere – Lizenz: gemeinfrei.

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