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Disput·Pastoralia

Platz machen! Ein neutestamentlicher Essay über die Frage der Mission


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Die Weisheit des Fußballs ist umfassend. Entscheidend ist auf’m Platz – das ist eine dieser grundständigen Wahrheiten, die die Freundinnen und Freunde des gepflegten Rasenballsports als Grundaxiom über Vereins- und Farbenkonfessionsgrenzen hinweg verbindet. Jede noch so ausgefeilte Trainertaktik kann durch flatternde Bälle in offenen Torwarthänden zunichte gemacht werden. Manch ein unachtsam auf den Platz geworfener Trinkbecher gibt dem Ball eine entscheidende, aber ungewollte Richtungsänderung. Eine kleine Unebenheit vor dem Elfmeterpunkt lässt selbst den sichersten Schützen plötzlich stümperhaft aussehen. Die großen Balltreter und -drücker ihres Fachs – Philipp Lahm, David Beckham und Xabi Alonso können ein Lied davon singen1).

Entscheidend ist auf’m Platz – die Erkenntnis, dass Kleines Großes bewirken kann, gehört prinzipiell auch in die DNA kirchlicher Verkündigung. Jesus selbst prägt der Kirche den genetischen Code der Verkündigung ein:

Er aber sagte: Wem ist das Reich Gottes ähnlich, womit soll ich es vergleichen? Es ist wie ein Senfkorn, das ein Mann nahm und in seinen Garten säte; es wuchs und wurde zu einem Baum und die Vögel des Himmels nisteten in seinen Zweigen. Noch einmal sagte er: Womit soll ich das Reich Gottes vergleichen? Es ist wie der Sauerteig, den eine Frau nahm und unter drei Sea Mehl verbarg, bis das Ganze durchsäuert war. Lukas 13,18-21 par

Potemkin, bitte für uns!

Wie wenig aber die Kirche dem ihr anvertrauten Potential, Sauerteig für die Welt zu sein, traut, zeigt sich an den trotz notorischer Erfolglosigkeit mit steter Redundanz verfolgten Pastoralstrategieprozessen. Mit klarem analytischem Blick stellt die Münchener Theologin Dr. Judith Müller 2017 fest:

„Gemessen an der Zahl von Abteilungen oder Agenturen, die in deutschen Diözesen und Landeskirchen sei es als interne oder als externe Dienstleister mit der Vokabel ‚Entwicklung‘ (Kirchen-, Organisations-, Pastoral-, Gemeinde-) auftreten, müsste das kirchliche Leben im Lande nur so brummen (…). Nimmt man noch die Initiativen und Firmen hinzu, die sich durch ein X (z.B. FreshX, PfinXten, Xpand) oder eine 2 im Namen (Kirche², Futur2) empfehlen, könnte man den Eindruck gewinnen, wir erlebten gerade eine kraftvolle kirchliche Aufbruchszeit.
Dass dem nicht so ist, dass weithin das Gegenteil erlebt wird, dass vielen Haupt- und Ehrenamtlichen eine schwere Müdigkeit in den Knochen steckt, dass trotz gut gemeinter Aufrufe zu Innovation und Experiment, trotz zahlreicher Impulse für eine sozialräumliche, milieu- und ressourcenorientierte Pastoral die Energiekurven hoffnungsbereiter Williger meist schnell wieder abfallen, das können alle bezeugen, die sich aus pastoralen Planungs- und Konzeptabteilungen und Forschungszentren regelmäßig in die Niederungen der konkreten pastoralen Wirklichkeit vor Ort begeben.“2)

All diesen Überlegungen und Projekten ist zu eigen, dass sie zwar in der Theorie hervorragende Analysen und Projekte zu Papier bringen, deren theoretische Machbarkeit aber den Praxistext oft nicht besteht. Es ist bestenfalls ein potemkinschen Dörfern gleichendes kosmetische Bemühen, das übersieht, dass das, was vor Ort durch eine charismatische Persönlichkeit, den fruchtbaren Boden einer Gemeinde oder einfach besonders günstige Rahmenkonstellationen gelingt, eben nicht nur nicht einfach kopierbar ist; es stellt sich angesichts des jesuanischen Auftrages auch die Frage, ob die Zielbeschreibungen überhaupt richtig formuliert sind, denn nirgendwo in den Schriften des Neuen Testamentes gibt es den Imperativ, Gemeinden zu gründen3), wohl aber den dezidierten Auftrag des Auferstandenen, das Evangelium zu verkünden:

Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung! Markus 16,15

Und im Matthäusevangelium spricht er:

Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt. Matthäus 28,19-20

Hier wie dort ist der Auftrag eindeutig. Er lautet: Verkündet! Vor allem Matthäus ist dort radikal und alternativlos, wenn die Wendung „macht alle Völker zu meinen Jüngern“ im griechischen Original μαθητεύσατε πάντα τὰ ἔθνα (gesprochen: matheteúsate pánta tà éthna) wörtlich übersetzt heißt: „verjüngert alle Völker“!

Nadelstichpastoral

Es ist offenkundig, dass eine „Verjüngerung“ aller Völker nicht die Zwangsbekehrung ganzer Ethnien meinen kann. Vielmehr geht es darum, den Völkern das Evangelium vom angebrochenen Reich Gottes einzupflanzen. Das etwa war auch das Ziel des Völkermissionars Paulus, der mit Blick auf die Parusie, also die als unmittelbar bevorstehend erwartete Wiederkunft Christi, gleich einer Strategie von Nadelstichen an neuralgischen Punkten das Evangelium verkündete, um dann, wenn es auf fruchtbaren Boden fiel und sich Gemeinschaften bildeten, in denen der Sauerteig des Evangeliums weitergären konnte, selbst weiterzog. Nicht umsonst suchte er deshalb die Zentren und Metropolen seiner Zeit auf: Thessaloniki, Philippi, Korinth oder Athen. Oft verkündete er zuerst in den Synagogen, in deren Umfeld sich sogenannte „Gottesfürchtige“ befanden, Heiden – also Nichtjuden –, die mit dem jüdischen Monotheismus sympathisierten, einen Übertritt aber oft wegen der Forderungen der Thora scheuten. Bei diesen Gottesfürchtigen dürfte er mit seiner Botschaft, dass eine Verehrung des unsichtbaren Gottes auch für Nichtjuden durch die Auferstehung des Gekreuzigten vollumfänglich möglich geworden war, auf offene Ohren gestoßen sein. Wie sehr diese Taktik missionarischer Nadelstiche wirkt, mag am Beispiel der paulinischen Rede auf dem Athener Areopag verdeutlicht werden, die auch heute noch als Prototyp missionarischer Verkündigung fruchtbar gemacht werden kann.

Während Paulus in Athen auf sie wartete, wurde sein Geist von heftigem Zorn erfasst; denn er sah die Stadt voll von Götzenbildern. Er redete in der Synagoge mit den Juden und Gottesfürchtigen und auf dem Markt sprach er täglich mit denen, die er gerade antraf. Einige von den epikureischen und stoischen Philosophen diskutierten mit ihm und manche sagten: Was will denn dieser Schwätzer? Andere aber: Er scheint ein Verkünder fremder Gottheiten zu sein. Denn er verkündete das Evangelium von Jesus und von der Auferstehung. Sie nahmen ihn mit, führten ihn zum Areopag und fragten: Können wir erfahren, was das für eine neue Lehre ist, die du vorträgst? Du bringst uns recht befremdliche Dinge zu Gehör. Wir wüssten gern, worum es sich handelt. Alle Athener und die Fremden dort taten nichts lieber, als die letzten Neuigkeiten zu erzählen oder zu hören. Da stellte sich Paulus in die Mitte des Areopags und sagte: Männer von Athen, nach allem, was ich sehe, seid ihr sehr fromm. Denn als ich umherging und mir eure Heiligtümer ansah, fand ich auch einen Altar mit der Aufschrift: EINEM UNBEKANNTEN GOTT. Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, das verkünde ich euch. Der Gott, der die Welt erschaffen hat und alles in ihr, er, der Herr über Himmel und Erde, wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand gemacht sind. Er lässt sich auch nicht von Menschenhänden dienen, als ob er etwas brauche, er, der allen das Leben, den Atem und alles gibt. Er hat aus einem einzigen Menschen das ganze Menschengeschlecht erschaffen, damit es die ganze Erde bewohne. Er hat für sie bestimmte Zeiten und die Grenzen ihrer Wohnsitze festgesetzt. Sie sollten Gott suchen, ob sie ihn ertasten und finden könnten; denn keinem von uns ist er fern. Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir; wie auch einige von euren Dichtern gesagt haben: Wir sind von seinem Geschlecht. Da wir also von Gottes Geschlecht sind, dürfen wir nicht meinen, das Göttliche sei wie ein goldenes oder silbernes oder steinernes Gebilde menschlicher Kunst und Erfindung. Gott, der über die Zeiten der Unwissenheit hinweggesehen hat, gebietet jetzt den Menschen, dass überall alle umkehren sollen. Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis in Gerechtigkeit richten wird, durch einen Mann, den er dazu bestimmt und vor allen Menschen dadurch ausgewiesen hat, dass er ihn von den Toten auferweckte. Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, spotteten die einen, andere aber sagten: Darüber wollen wir dich ein andermal hören. So ging Paulus aus ihrer Mitte weg. Einige Männer aber schlossen sich ihm an und wurden gläubig, unter ihnen auch Dionysius, der Areopagit, außerdem eine Frau namens Damaris und noch andere mit ihnen. Apostelgeschichte 17,16-34

Weißenau_Festsaal_Paulus_vor_dem_Areopag
Paulus auf dem Areopag (Darstellung im Weißenauer Festsaal).

Con passione et con ratione

Es braucht verschieden Faktoren, die zusammenkommen müssen. Zuerst: Es braucht einen konkreten Anlass. Fragen, die niemand stellt oder die nicht auf dem Tisch liegen, harren keiner Antworten. Der gegenwärtige Mangel an missionarischem Gespür hat hier ihren tiefen Grund. Manch einer möchte die Kirche flügge machen, indem er wie Erik Flügge4) empfiehlt, die modernen Jüngerinnen und Jünger des Auferstandenen mögen doch bitte Drückerkolonnen gleich von Tür zu Tür ziehen, in die privaten Bereiche eindringen und dort – wenn schon nicht das Evangelium, so doch die kirchensteuerlichen Bilanzen verkünden, damit auch die Gemeindefernen erführen, dass ihre Kirchensteuern nicht nur von den Kirchgängern verprasst werden5). Was bei niedlich verkleideten Sternsingern gelingen mag, kann man nicht so einfach auf Besuche nach Art von Versicherungsvertretern oder Staubsaugerverkäufern übertragen: Die Übergriffigkeit einer solchen Taktik dürfte eher rufschädigend als ruffördernd sein, gehört sie doch nicht nur in die pastorale Mottenkiste alter milieukirchlicher Zeiten, in denen der Pfarrer einer Gemeinde mit seinen damals vier und mehr Kaplänen durch die Straßen zog, um bei den katholischen Schäfchen nach dem Rechten zu sehen. Es hat der Kirche auch nichts genutzt, sie sind trotzdem leerer geworden. Die Zeugen Jehovas hingegen nutzen diese Strategie heute noch – und gehören nicht unbedingt zu den mitgliederzahlenmäßigen Führern auf dem Markt religiöser Möglichkeiten Es muss also um mehr gehen, als bloße Klinkenputzerei. Es braucht Fragen – und jemanden, der Antworten hat.

Die Fragen, die sich Paulus in Athen stellen, werden durch die Götzenbilder aufgeworfen. Es sind aber nicht bloß die Götzenbilder selbst. Es ist die Leidenschaft, die von Paulus Besitz ergreift. Der Text spricht davon, dass Paulus von Zorn erfasst wurde. Das griechische παροξύνειν (gesprochen: paroxynein) steht dabei für eine tiefe innere, emotionale Aufwallung, eine geradezu feurige Leidenschaft, die entfacht wird. Paulus gerät in Leidenschaft, er spricht mit Leidenschaft – und bleibt dabei doch theologisch rational. Er argumentiert mit Leib und Seele und Verstand – con passione et con ratione. Dabei stellt er sich auch der Kritik denn manche der auf dem Areopag disputierenden Philosophen halten ihn für einen Schwätzer. Er geht also in die Mitte der Auseinandersetzung – nicht nur dorthin, wo man ihn hören will und er sicheren Beifall bekommt, wie es heute noch auf missionarischen Megaevents der Fall ist. Inmitten charismatischer Halluzinogene haben Visionen schließlich leichtes Spiel – vor allem, wenn der Einzelne in der Masse aufgeht. Hier aber steht ein Einzelner im rationalen Kreuzfeuer und muss Rechenschaft ablegen für das, für das er steht. Und erstellt sich der Befremdlichkeit seiner Botschaft. Ist es vernünftig, die Auferstehung eines Gekreuzigten zu verkünden?

Ein Anlass! Es braucht einen Anlass!

Natürlich weiß Paulus, dass es nicht vernünftig ist – zumindest, wenn man nur auf die Oberfläche schaut:

Denn da die Welt angesichts der Weisheit Gottes auf dem Weg ihrer Weisheit Gott nicht erkannte, beschloss Gott, alle, die glauben, durch die Torheit der Verkündigung zu retten. Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkünden Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen. 1 Korinther 1,21-25

Es braucht daher einen konkreten Anlass, nichts Aus-der-Luft-Gegriffenes. Etwas, das vor Augen liegt, eine Konkretion. Für Paulus auf dem Areopag ist es der einem unbekannten Gott gewidmete Altar. Dieser Altar schafft die entsprechende Leerstelle, in die Paulus den Hebel der Verkündigung setzen kann. Es ist dieser Anlass, der den Brückenkopf seiner Verkündigung bildet und den er mit seiner Botschaft füllen kann. Er ist es, der diesem unbekannten Gott einen Namen gibt, eine Gestalt, eine Botschaft – die Botschaft des vom Kreuzestod Auferstandenen, eben jene Botschaft, die in den Augen der Griechen weiter töricht bleibt.

Da wird nichts schöngeredet. Die Fakten stehen doch vor Augen. Paulus weiß, worauf er sich einlässt, wenn er sich den Philosophen auf dem Areopag stellt, die das, was er zu sagen hat, für töricht halten. Er muss sich für diese Auseinandersetzung wappnen. Er muss sich auf die Ebene seiner Gesprächspartner begeben:

Den Juden bin ich ein Jude geworden, um Juden zu gewinnen; denen, die unter dem Gesetz stehen, bin ich, obgleich ich nicht unter dem Gesetz stehe, einer unter dem Gesetz geworden, um die zu gewinnen, die unter dem Gesetz stehen. Den Gesetzlosen6) bin ich sozusagen ein Gesetzloser geworden – nicht als ein Gesetzloser vor Gott, sondern gebunden an das Gesetz Christi – , um die Gesetzlosen zu gewinnen. Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, um die Schwachen zu gewinnen. Allen bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten. 1 Korinther 9,20-22

Da Ziel ist klar: Auf jeden Fall einige zu retten. Einige!

90-9-1 – eine missionarische Faustformel

Die Taktik der Nadelstiche geht auch in Athen auf. Viele spotten weiter über ihn und seine Torheit; einige aber scheinen nachdenklich geworden zu sein und interessieren sich für mehr, wenn es heißt:

Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, spotteten die einen, andere aber sagten: Darüber wollen wir dich ein andermal hören. Apostelgeschichte 17,32

Interessant ist aber vor allem die folgende Bemerkung:

So ging Paulus aus ihrer Mitte weg. Einige Männer aber schlossen sich ihm an und wurden gläubig, unter ihnen auch Dionysius, der Areopagit, außerdem eine Frau namens Damaris und noch andere mit ihnen. Apostelgeschichte 17,33-34

Paulus zieht scheinbar unbekümmert weiter. Er hält sich nicht mit dem scheinbaren Misserfolg auf. Er geht ja auch nicht mit leeren Händen. Einige schließen sich an und werden gläubig. Zwei von ihnen werden sogar mit Namen genannt: Dionysius, der Areopagit und die Frau Damaris. Die Tatsache, dass diese beiden besonders hervorgehoben werden, deutet auf ihre Bedeutung in der frühen Kirche hin. Sie scheinen in der Paulusbewegung eine besondere Rolle gespielt zu haben. Möglicherweise sind sie selbst zu Verkündern geworden. Der paulinische Sauerteig wirkt; die Saat geht auf.

Die Erfahrung des Paulus kann auf eine Formel gebracht werden, die sich im Rahmen statistischer Varianzen auch als 90-9-1-Regel fassen lässt: Von 100 Personen, denen die Botschaft des vom Kreuzestod Auferstandenen verkündet wird, bleiben 90 fern. 10 sind interessiert, von denen schließlich 1 Person selbst wirksam wird. 10% aktive Christen in den Gemeinden sind da wahrlich kein schlechter Schnitt! Sie sind der Sauerteig, der heute noch die Gesellschaft durchsäuert. Und dabei geht es nicht um die Steigerung des Gottesdienstbesuches oder der Akquise neuer Mitglieder, sondern um den Geist, aus dem heraus eine Gesellschaft lebt.

Komposthaufen Gemeinde

Auch wenn die Gründung von Gemeinden kein Ziel ist, das aus dem Neuen Testament abgeleitet werden könnte, so haben sie doch ihre Bedeutung. Weil sie aber kein Ziel sind, haben sie eben auch keinen Zweck in sich. Gemeinden sind vielmehr der Nährboden, aus dem heraus sich die Verkündigung in die Welt hinein ereignet. Gerade darin werden sie zum Sauerteig für die Welt. Erst dann, wenn der Humus, der im Komposthaufen gereift ist, auf den Acker ausgebracht wird, kann auch die Saat reiche Frucht bringen. Das Spielfeld aber ist eben die Welt, nicht das Wohnzimmer. Und entscheidend ist auch hier auf’m Platz. Nicht ohne Grund entsendet Jesus seine Jünger deshalb nicht von Haus zu Haus, sondern von Stadt zu Stadt. So spricht Jesus bei der Entsendung der 72 im Lukasevangelium:

Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als Erstes: Friede diesem Haus! Und wenn dort ein Sohn des Friedens wohnt, wird euer Friede auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu euch zurückkehren. Bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was man euch anbietet; denn wer arbeitet, ist seines Lohnes wert. Zieht nicht von einem Haus in ein anderes! Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, so esst, was man euch vorsetzt. Lukas 10,5-8

Die Jüngerinnen und Jünger, die in seinem Auftrag unterwegs sind, sollen also durchaus in Häuser einkehren. Das sind möglicherweise schon bekannte und mit der Jesusbewegung sympathisierende Hausherrinnen und – herren, die den Seinen Kost und Logis während der Zeit der Verkündigung bieten. Dafür sollen sie ganz frei sein. Sie sollen deshalb gerade nicht von Haus zu Haus ziehen, sondern offenkundig die Öffentlichkeit der Stadt suchen. Das wird auch in der Fortführung der jesuanischen Anweisungen deutlich:

Wenn ihr aber in eine Stadt kommt, in der man euch nicht aufnimmt, dann geht auf die Straße hinaus und ruft: Selbst den Staub eurer Stadt, der an unseren Füßen klebt, lassen wir euch zurück; doch das sollt ihr wissen: Das Reich Gottes ist nahe. Lukas 10,10-11 par

Platz machen!

Es braucht also Platzmacher, keine Drücker, die das Evangelium in die Öffentlichkeit tragen. Und es gibt sie jetzt schon in manchen Städten. In Schweinfurt ist der evangelische Pfarrer Heiko Kuschel regelmäßig auf dem Markt mit einer mobilen Kirche unterwegs, in Fulda sucht die dortige noch junge Citypastoral lautstark und sichtbar den Kontakt in Clubs und auf Stadtfesten, und auch der Autor dieses Beitrages steht für diese Art missionarischer Pastoral, die sich am Leitbild des Paulus auf dem Areopag orientiert: Platzreden auf dem Berliner Platz in Wuppertal, Präsenz der Kirche auf den Straßen und Plätzen der Stadt, aber auch Aktionen in Kaffeehäusern machen die Kirche nicht nur sichtbar, sondern fordern immer neu heraus: die Öffentlichkeit wie die Verkünder. Über 300 Eintritte in die römisch-katholische Kirche in Wuppertal seit dem Beginn der Katholischen Citykirche Wuppertal im Jahr 2004 zeigen, dass das paulinische Wirkprinzip auch heute noch funktioniert.

Entscheidend ist auf’m Platz. Dort muss die frohe Botschaft mit der Effizienz der Verschwendung verkündet werden. In Häusern ist es einfach zu heimlich, als dass der Sauerteig des Evangeliums unheimlich wirken kann. Auf: Macht Platz! Dazu braucht es nicht viele, dafür aber Leidenschaft zur Rechenschaft für den Glauben. Mischt euch ein in die Kommentarspalten der sozialen Medien, die Leserbriefe in den Zeitungen, die Stadtgespräche. Schweigt nicht aus Angst, ihr könntet töricht erscheinen. Ihr seid töricht, wenn ihr an den vom Kreuzestod Auferstandenen glaubt. Seid weise Toren! Das Spiel ist erst zu Ende, wenn der Schlusspfiff ertönt:

Wisst ihr nicht, dass die Läufer im Stadion zwar alle laufen, aber dass nur einer den Siegespreis gewinnt? Lauft so, dass ihr ihn gewinnt! 1 Korinther 9,24

Es bleibt dabei: Entscheidend ist auf’m Platz!

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Bildnachweis

Titelbild: Platzrede! 25.10.2017 (Christoph Schönbach/Katholische Citykirche Wuppertal) – alle Rechte vorbehalten.

Bild 1: Weißenau Festsaal Paulus vor dem Areopag (Andreas Praefcke) – Quelle: Wikicommons – lizenziert als gemeinfrei.

Video: WDR Lokalzeit Bergisch Land – PR im Namen Gottes (Sendung vom 9.11.2017) – Quelle: Youtube

Einzelnachweis   [ + ]

1. Vgl. hierzu https://www.youtube.com/watch?v=kUBo65sPvxw [Stand: 27. Mai 2018] bzw. https://www.youtube.com/watch?v=1sRYk5SqZXc [Stand: 27. Mai 2018].
2. Judith Müller, „Nichts ist zu tun – ohne in Tatenlosigkeit zu versinken“, feinschwarz.net, 30.5.2017, Quelle: https://www.feinschwarz.net/nichts-ist-zu-tun-ohne-in-tatenlosigkeit-zu-versinken/ [Stand: 27. Mai 2018].
3. Vgl. hierzu auch den Dei-Verbum-Beitrag von Dr. Werner Kleine, Hat Jesus Gemeinde gewollt? [Stand: 28. Mai 2018].
4. Siehe hierzu Erik Flügge/David Holte, Eine Kirche für viele. Statt Heiligem Rest, Freiburg i. Br. 2018; siehe hierzu auch das Deutschlandfunk-Interview mit Erik Flügge vom 8.5.2018: http://www.deutschlandfunk.de/kirchensteuer-90-prozent-zahlen-fuer-den-rest.886.de.html?dram:article_id=417360 [Stand: 28.5.2018].
5. So etwa Erik Flügge und David Holte in dem Buch „Eine Kirche für viele. Statt Heiligem Rest“, Freiburg i. Br. 2018; siehe hierzu auch das Deutschlandfunk-Interview mit Erik Flügge vom 8.5.2018: http://www.deutschlandfunk.de/kirchensteuer-90-prozent-zahlen-fuer-den-rest.886.de.html?dram:article_id=417360 [Stand: 28.5.2018].
6. Die Gesetzlosen sind die Heiden, die als Nichtjuden eben nicht unter dem Gesetz stehen.
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1 Reply

  1. Wie aus meinem Herzen gesprochen. In Priesterkleidung am Kaffestand auf dem Samstagsmarkt in Dortmund reicht schon für spannende Gespräche, die weiterwirken… – Davon abgesehen: Es ist einfach ärgerlich, wie alle Pastoralstrategen das NT links liegenlassen oder einfach nicht ernstnehmen. Da kommt eine Menge Unglaube hoch mitten in den Ordinariaten!