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conditio humana

Leopardenflecken und das Massaker in Charleston Die Bedeutung der Hautfarbe in der Bibel


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Ein 21jähriger geht an einem Mittwochabend zu einer Bibelstunde einer afro-amerikanischen Kirchengemeinde in der Stadt Charleston in den USA. Nach einer Stunde gemeinsamen Bibellernens zieht er seine Waffe und erschießt sechs Frauen und drei Männer. Warum? – seine Begründung der Tat ist erschreckend:

„Ihr habt unsere Frauen vergewaltigt und Ihr übernehmt die Macht im Land. Ich muss tun, was ich tun muss.“1)

Für ihn ist das „Wir“, von dem er spricht „die weiße Rasse“ und das „Ihr“, das er anspricht, sind die „Schwarzen“.2) Er sitzt eine Stunde lang beim gemeinschaftlichen Bibelunterricht, um anschließend neun Menschen umzubringen, die eine dunklere Hautfarbe haben als er. Für ihn definiert die Hautfarbe die Wertigkeit eines Menschen, ganz so als wäre die Hautfarbe das äußere Signal für den schlechten Charakter der Person – sozusagen ein Kainsmal.

Das Kainsmal

Im vierten Kapitel des Buches Genesis wird die Geschichte der beiden Brüdern Kain und Abel erzählt. Aus Eifersucht ermordet Kain seinen Bruder Abel – gemäß der Bibel der erste Mord der Menschheitsgeschichte. Gott verflucht Kain für seine Tat und verjagt ihn vom Ackerboden. Kain fürchtet um sein Leben:

Du [Gott] hast mich heute vom Ackerland verjagt und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen; rastlos und ruhelos werde ich auf der Erde sein und wer mich findet, wird mich erschlagen. Genesis 4,14

Damit Kain trotz des Fluches, den Gott gegen ihn ausgesprochen hat, nicht um sein Leben fürchten muss, verleiht Gott ihm das Kainsmal:

Der Herr aber sprach zu ihm: Darum soll jeder, der Kain erschlägt, siebenfacher Rache verfallen. Darauf machte der Herr dem Kain ein Zeichen, damit ihn keiner erschlage, der ihn finde. Genesis 4,15

In der amerikanischen Kultur des 19. Jahrhundert war unter Christen in den Südstaaten der USA eine Auslegung dieser Textstelle verbreitet, die das Kainsmal mit schwarzer Hautfarbe gleichsetzte.3) Im Endeffekt wurde behauptet, dass jeder „Schwarze“ die Folge des ersten Brudermords der Geschichte sei. In Genesis 4,15 steht jedoch kein Wort darüber, was das Kainsmal war und es dient auch nicht zur Verurteilung sondern zum Schutz Kains.

Die schwarze Hautfarbe

Die Hautfarbe ist nicht mehr und nicht minder als einfach eine Hautfarbe. Sie gehört zu einer Person. Sie kann nicht einfach abgelegt werden:

Ändert wohl ein Neger seine Hautfarbe oder ein Leopard seine Flecken? Jeremia 13,23

Der Prophet Jeremia erklärt mit dieser rhetorischen Frage die kommende Strafe gegen Jerusalem. Die Schuld Jerusalems ist so groß, dass die Katastrophe nicht mehr abzuwenden ist. So wie Flecken zu einem Leopard gehören, so eng ist die Verbindung der Stadt Jerusalem mit ihrer Schuld. Die Bewohner haben sich so an das Böse gewöhnt, dass sie selbst zum Bösen geworden sind. Sie können das Böse nicht mehr abstreifen und werden daher verurteilt.
Es wäre falsch daraus zu schließen, dass in Jeremia 13,23 angedeutet würde, dass die Hautfarbe ein Symbol für die Schuld der Bewohner Jerusalems sei – die Flecken des Leopard sind ja auch kein Symbol für Schuld. Es geht um die Hautfarbe als gegebene Unabänderlichkeit – sie sagt nichts über den Charakter einer Person aus.
Daher ist auch die Wahl des Wortes „Neger“ in der Einheitsübersetzung in Jeremia 13,23 denkbar schlecht. Das Wort ist eng mit dem Kolonialismus, der Sklaverei und der Rassentheorie verbunden und wird in der heutigen Umgangssprache als rassistische und abwertende Bezeichnung einer Person verwendet. Der hebräische Text hingegen spricht von einem כושי (gesprochen: kuschi), einem Kuschiter. Das Land Kusch lag südlich von Ägypten und hatte sein Zentrum wohl im heutigen Sudan.4) Die Septuaginta, die griechische Übersetzung des hebräischen Alten Testaments nennt den „Kuschiter“ einen „Äthiopier“.

Die einzige wertende Aussage in der Bibel über Hautfarbe als Merkmal eines Menschen findet sich im Hohelied. Dort verkündet die Protagonistin voller Stolz:5)

Schwarz bin ich und attraktiv, Ihr Töchter Jerusalems, wie die Zelte Kedars, wie die Zelttücher Salomos. Hohelied 1,5

Die Bedeutung Afrikas für das Christentum

Im Neuen Testament trägt Simeon, einer der Propheten und Lehrer, in der Gemeinde in Antiochien, den Beinamen „Niger“ (Νίγερ – gesprochen: niger). Es kann angenommen werden, dass sich dieser Beiname von dem lateinischen Wort für „schwarz“ (niger) herleitet und wahrscheinlich – ohne es zu werten – auf die schwarze Hautfarbe bzw. afrikanische Abstammung Simeons anspielt:

In der Gemeinde von Antiochia gab es Propheten und Lehrer: Barnabas und Simeon, genannt Niger, Luzius von Zyrene, Manaën, ein Jugendgefährte des Tetrarchen Herodes, und Saulus. Apostelgeschichte 13,1

Neben Simeon wird in dieser Liste auch „Luzius, der Kyrener“ genannt. Kyrene war in der Antike eine griechische Stadt in Nordafrika, im Gebiet des heutigen Libyen. In der Gemeinde in Antiochien, der Hauptstadt der damaligen römischen Provinz Syrien, lebten Nichtjuden und Juden zusammen und bezeichneten sich erstmals in der Geschichte als „Christen“ (siehe Apostelgeschichte 11,20.26). Es sind Manaën und die Afrikaner Simeon und Lucius, die Saulus, auch genannt Paulus, und Barnabas auf Ihre Missionsreisen aussenden:

Als sie [gemeint sind die in Vers 1 genannten Barnabas, Simeon, Luzius, Manaën und Saulus] zu Ehren des Herrn Gottesdienst feierten und fasteten, sprach der Heilige Geist: Wählt mir Barnabas und Saulus zu dem Werk aus, zu dem ich sie mir berufen habe. Da fasteten und beteten sie, legten ihnen die Hände auf und ließen sie ziehen. Apostelgeschichte 13,2-3

Dass zwei Afrikaner eine solche prominente Rolle in der Ausbreitung des Christentums spielten, sollte niemanden überraschen. Schließlich war der erste Nicht-Jude, der sich zum Christentum bekehrte und sich taufen ließ, ein äthiopischer Kämmerer (siehe Apostelgeschichte 8,26-40).

Der Mensch und seine Hautfarbe

Simeon, auch genannt Niger, und der äthiopische Kämmerer verweisen auf die auch vorhandenen afrikanischen Wurzeln des Christentums. Für die heiligen Schriften hat es dabei keine tiefere Bedeutung, welche Hautfarbe eine Person hat. Eine Hautfarbe kann man sich nicht aussuchen und ebenso wie ein Leopard seine Flecken nicht einfach abstreifen kann, so kann man auch seine Hautfarbe nicht einfach ablegen. Was einen Menschen in seiner Würde definiert, steht am Anfang der Bibel in Genesis 2,26-27: Jeder Mensch ist ein Abbild Gottes.

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Bildnachweis

Murder at Sharpeville 21 March 1960.“ von Godfrey Rubens. Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.

Einzelnachweis   [ + ]

1. Zitiert nach: “Es sollte der Auftakt zum Bürgerkrieg sein“, faz.net, 19.06.2015 (Stand: 21. Juni 2015).
2. Vgl. die Schilderungen des Bekannten des Täters in: “Verdächtiger gesteht Kirchen-Morde“, ZEIT ONLINE, 19.06.2015 (Stand: 21. Juni 2015).
3. Vgl. dazu Randall Bailey / Allen Callahan, God is calling for Liberation (Reihe Kleine Texte 23), Berlin 2009.
4. In der Forschung wird angenommen, dass die Fläche des Landes Kusch wohl Gebiete sowohl auf der arabischen Peninsula (wahrscheinlich Jemen) als auch im Nordosten Afrikas umfasste.
5. Die folgende Übersetzung stammt vom Autor. In der Einheitsübersetzung lautet der Vers: „Braun bin ich, doch schön, ihr Töchter Jerusalems, wie die Zelte von Kedar, wie Salomos Decken.“ Im hebräischen Text liegt ein Wort vor, das üblicherweise mit „und“ übersetzt wird, aber auch mit „doch“ übersetzt werden kann. Dass die braune bzw. schwarze Hautfarbe und die Attraktivität der Frau kein Widerspruch sind, wie das Wort „doch“ in der Übersetzung anzeigt, wird durch die Vergleiche deutlich. Die „Zelte Kedars“ sind schwarze Ziegenhaarzelte. Textlich gibt es keinen Grund einen Widerspruch zwischen der Hautfarbe und der Attraktivität anzunehmen.
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