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Error? Try! Oder: Von der Gunst, Fehler machen zu dürfen


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Lehrer gleichen Exorzisten. Stets sind sie auf der Suche nach dem Fehlerteufel, den es auszutreiben gilt – und der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Die Schüler, diese armen, kleine Teufel, lernen schnell, dass im Fehler nichts Gutes steckt. Rot wie Blut werden sie markiert, rot wie Feuer flammen sie am Heftrand und brennen sich so dem Sehsinn ein, auf dass die Erziehungsberechtigten – so sie sich denn in die schulische Kommunikation einbinden lassen – auf den ersten Blick sehen, ob das pädagogische Haus schon in vollen Flammen steht oder das Zünglein der Erkenntnis sanft aber sichtbar in Form einer guten Noten unter den Klassenarbeiten, Tests und Klausuren aufleuchtet. Fehler sind in jedem Fall unerwünscht! Das lernt man als Schülerin und Schüler spätestens dann, wenn die sanften Beurteilungen den harten Fakten numerischer Noten weichen. Spätestens dann ist die Schonzeit vorbei. Fehler haben halt Konsequenzen – im schlimmsten Fall heißt es: Setzen! Sechs!

Fehlervermeidungsstrategien

Es ist kein Wunder, dass solche Erfahrungen – seien sie erlebt oder beobachtet – nicht zu einer Kultur der Fehlerfreundlichkeit beitragen. Vielmehr werden phantasievolle Strategien der Fehlervermeidung entwickelt. Mogeleien, Spickzettel, das Fälschen elterlicher Unterschriften, das Abfangen blauer Briefe – was wird da nicht alles versucht, um die eigenen Fehler zu vertuschen. Und wahrhaftig: Gesellschaft und Kirche können nicht erst in der Gegenwart von den vielfältigen Wegen der Vertuschung eigener Fehler ein Lied von der Phantasie singen, die viele Verantwortliche aufzubringen im Stande sind, wenn es darum geht, sich nicht den eigenen Fehlern stellen zu müssen. Da werden bisweilen sogar alternative Fakten geschaffen, Wahrheiten neu formuliert oder Realitäten schlicht geleugnet. Der Fehlerteufel ist wahrhaftig ein Künstler im Durcheinanderbringen – ein διάβολος (gesprochen: diábolos – wörtlich: Durcheinanderwerfer). Die Masken müssen halt sitzen, damit sich nicht das wahre Gesicht zeigt. In der Kirche scheint das Bewahren einer weißen Weste, die nicht einmal den Anschein fehlerhafter Verwebungen, geschweige denn dunkler Flecken erst gar nicht aufscheinen lassen soll, besonders dringend zu sein, ist ihr doch im Wort Gottes selbst das Bewahren eines reinen, fehlerfreien Antlitzes ins Stammbuch geschrieben:

So will er die Kirche herrlich vor sich hinstellen, ohne Flecken oder Falten oder andere Fehler; heilig soll sie sein und makellos. Epheser 5,27

Societas perfecta?

Der Satz ist im Epheserbrief eingebettet in die Ausführungen zur christlichen Hausordnung (vgl. Epheser 5,21-33) – einem Text, der in der kirchlichen Lehre höchst wirksam wurde und ist: Die Frau soll sich dem Mann unterordnen, die ihre Frauen immerhin aber lieben sollen (vgl. Epheser 5,22-24). Darin würde man das Beispiel Christi nachahmen, der seine Kirche, die sich ihm als Haupt unterordnet, auch liebt. Der Autor des Epheserbriefes legt sein Schlussverfahren selbst offen, indem er feststellt, dass er das Bild einer aus seiner Sicht, die man aus heutiger soziologischer Perspektive sicher als gebunden an die zeitgenössischen soziokulturellen Kontexte bezeichnen muss, perfekten Mann-Frau-Beziehung als Matrix für die Beziehung Christi zu seiner Kirche nimmt:

Dies ist ein tiefes Geheimnis; ich beziehe es auf Christus und die Kirche. Epheser 5,32

Freilich wissen alle, die in intimen zwischenmenschlichen Beziehungen leben, dass die reine Konfliktfreiheit eine illusorische Utopie ist, an deren Ideal man nur scheitern kann. Wer nicht wahrhaben will, dass es im Zusammenleben von Menschen zu Konflikten kommt, wird früher oder später mit dem totalen Scheitern von Beziehungen leben müssen oder lernen, dass Liebe vor allem eins ist: Arbeit, Arbeit, Arbeit!

Wenn das so ist, dann ist auch die vermeintliche Identifikation der Kirche als societas perfecta, als vollkommene Gemeinschaft, eine zum Scheitern verurteilte Utopie, deren Bewahrung den Kern der Lüge in sich trägt. Nicht ohne Grund mahnt deshalb der Autor des Jakobusbriefes:

So ist auch die Zunge nur ein kleines Körperglied und rühmt sich großer Dinge. Und siehe, wie klein kann ein Feuer sein, das einen großen Wald in Brand steckt. Auch die Zunge ist ein Feuer, eine Welt voll Ungerechtigkeit. Die Zunge ist es, die den ganzen Menschen verdirbt und das Rad des Lebens in Brand setzt; sie selbst aber wird von der Hölle in Brand gesetzt. Jakobus 3,5-6

Es ist fast, als wenn eine Lüge1) die nächste schon in sich trägt. Die Sucht der weißen Weste ist vor allem eines: nicht koscher!

Ein gottgewollter Fehler

Dem Menschen liegt Fehlerfreiheit nicht nur nicht. Er ist, weil er ein Mensch ist, verdammt dazu, Fehler zu machen. Er kann nur lernen, wenn er zum Fehler bereit ist. Das ist der eigentliche Kern jener Geschichte, die oft als Erzählung vom „Sündenfall“ bezeichnet wird, obschon in Genesis 3 das Wort „Sünde“ gar nicht vorkommt. Es ist wie mit jenem Lehrer, der den Schüler bzw. die Schüler für einen Fehler zeiht, ohne sich zu fragen, warum es überhaupt dazu kommen konnte, dass der Fehler geschehen konnte. Die Last wird einseitig dem Kind, seiner vermeintlichen Faulheit, Begriffsstutzigkeit oder Lernunwilligkeit zugeschrieben. Dass es möglicherweise auch am pädagogischen Personal, seiner mangelnden (oft eben auch systembedingten) Fähigkeit, das einzelne Kind wahrzunehmen, der falschen Methode usw. liegen könnte, kommt gar nicht in den Blick. So ist es auch beim sogenannten Sündenfall, bei dem nur selten gefragt wird, warum Gott denn nicht dafür gesorgt hat, dass die Menschin nicht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse essen konnte, ist derselbe Gott doch selbstverständlich in der Lage, den Baum des Lebens am Ende von Genesis 3 entsprechend zu sichern:

Er vertrieb den Menschen und ließ östlich vom Garten Eden die Kerubim wohnen und das lodernde Flammenschwert, damit sie den Weg zum Baum des Lebens bewachten. Genesis 3,24

Hinzu kommt, dass die Erkenntnis von Gut und Böse im Hebräerbrief gerade nicht als Ausdruck der Sündhaftigkeit des Menschen oder seines vermeintlichen Sündenfalls, sondern als existentieller Ausweis seiner gottgewollten Mündigkeit ist:

Darüber hätten wir viel zu sagen; es ist aber schwer verständlich zu machen, da ihr träge geworden seid im Hören. Denn obwohl ihr der Zeit nach schon Lehrer sein müsstet, braucht ihr von Neuem einen, der euch in den Anfangsgründen der Worte Gottes unterweist; und ihr seid solche geworden, die Milch nötig haben, nicht feste Speise. Denn jeder, der noch mit Milch genährt wird, ist unerfahren im richtigen Reden; er ist ja ein unmündiges Kind; feste Speise aber ist für Erwachsene, deren Sinne durch Gebrauch geübt sind, Gut und Böse zu unterscheiden. Hebräer 5,11-14

Beide Beobachtungen zusammengenommen kann man also durchaus zu dem Schluss kommen, dass das Verbot Gottes, vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen, ohne dass der Zugriff auf den Baum analog zum Schutz des Baumes des Lebens in Genesis 3,24 verhindert wird (vgl. Genesis 2,16-17) ein klarer Fall der Verletzung göttlicher Aufsichtspflicht war, also ein krasser Fehler, der den Menschen in ein Unglück stürzen lässt, das gemäß Hebräer 5,11-14 aber gar kein Unglück ist. Überhaupt: Kann Gott Fehler machen?

Fehlertoleranzen

Es ist provokant – aber man möchte die Frage mit „Ja!“ beantworten. Gott, der die Sünde nicht kennen kann, scheint hier einen Fehler zu machen. Im Altgriechischen steht allerdings das Wort ἁμαρτία (gesprochen: hamartía) für beide Begriffe; es kann sowohl „Sünde“ als auch „Fehler“ bedeuten. Zweifellos kann Gott nicht sündigen, ist die Sünde in sich doch der Zustand des von Gott-Getrennt-Seins. Deshalb kann Paulus etwa, für durch die Auferstehung des Gekreuzigten feststeht, dass Gott selbst in Jesus Christus ganz und gar wirksam und gegenwärtig ist, feststellen:

Er hat den, der keine Sünde kannte 2 Korinther 5,21a

um dann das christliche Urparadox zu formulieren, dass die göttliche Errettung des am Kreuz als Gottverlassenem Gestorbenem zu formulieren:

für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden. 2 Korinther 5,21b

Hier wird – ähnlich wie in der Erzählung vom vermeintlichen „Sündenfall“ die Doppeldeutigkeit des Wortes ἁμαρτία (gesprochen: hamartía) zum Ausdruck gebracht. Jesus kennt die ἁμαρτία nicht, wird aber zur ἁμαρτία gemacht – eine scheinbarer Fehler Gottes, der zum Heil für die Menschen wird. Gott scheint also an sich nicht nur fehlertolerant zu sein; der Fehler wird auch zum Lernort, zur Keimzelle des Wachsens in der Erkenntnis, zum Ausgangspunkt kreativer Weiterentwicklung. Wer fortschreiten will, muss zum Fehler bereit sein – nicht um des Fehlers selbst willen, sondern um aus dem Fehler Gewinn zu ziehen. So heißt es bereits im Alten Testament im Buch der Sprüche:

Jeder meint, sein Verhalten sei fehlerlos, doch der HERR prüft die Geister. Sprüche 16,2

Und auch im bereits erwähnten Epheserbrief folgt der Idealisierung die nüchterne Erkenntnis, dass man aus Fehlern lernen kann und sich ihnen deshalb stellen muss:

Prüft, was dem Herrn gefällt, und habt nichts gemein mit den Werken der Finsternis, die keine Frucht bringen, deckt sie vielmehr auf! Denn von dem, was sie heimlich tun, auch nur zu reden, ist schändlich. Alles, was aufgedeckt ist, wird vom Licht erleuchtet. Epheser 5,10-13

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Fehlersuche, um zu lernen - Jesus und die Ehebrecherin (Rembrandt van Rijn)

Erfolgsfaktor Fehler

Gott selbst ist der Fehler offenkundig nicht zu schade, um den Menschen auf die Spur der Erkenntnis zu bringen. Durch den „Fehler“ des fehlenden Schutzes des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse wird der Mensch zu einem mündigen Wesen; durch den „Fehler“ des nicht verhinderten Kreuzestodes Jesu wird die frohe Botschaft von der Auferweckung des Gekreuzigten überhaupt erst möglich. Der Fehler scheint also nicht zwingend eine diabolische Angelegenheit zu sein. Diabolisch wird es erst, wenn man Fehler prinzipiell vermeiden oder sie bestrafen will. Um Gott auf die Spur zu kommen, sollte man aber wohl eher die Gunst der Fehler erkennen, aus denen man für die Zukunft lernen kann.

In der Welt hat man das längst erkannt. Als Beispiel mag die neue Fehlerkultur der Feuerwehren gelten, die längst auch in anderen sicherheitsrelevanten Arbeitszusammenhängen wie dem Flugverkehr Einzug gehalten hat2). Hier geht es nicht mehr darum, Schuldige zu suchen, sondern aus Fehlern zu lernen und die Abläufe zu verbessern. Nicht wer den Fehler gemacht hat, ist wichtig, sondern warum der Fehler überhaupt passieren konnte. Bis in die fünfte Ebene wird nach der Ursache gefragt, um zu lernen, wie die Qualität in Zukunft verbessert werden kann. Die offene Fehleranalyse wird so zum Erfolgsfaktor.

Diese grundlegend fehlertolerante Haltung sollte auch jenen zu eigen sein, die dem, der keine Sünde kannte, folgen, damit sie in ihrem Streben nach Reinheit vorankommen können, ohne die fleckig gewordene Weste mit jenen Mitteln reinwaschen zu wollen, die nur neue Flecken produzieren. In der johanneischen Perikope von der Ehebrecherin läuft der Text auf eine bemerkenswerte Pointe hinaus:

Wer von euch ohne Sünde (ὁ ἀμαμάρτητος)3) ist, werfe als Erster einen Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie das gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand. Er richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt? Sie antwortete: Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr (ἀπό τοῦ νῦν μηκέτι ἁμάρτανε)4)! Johannes 8,7b-11

Das Ohr hört hier immer primär die Sünde. Die eigentliche Bedeutung des griechischen Worte ἁμαρτία ist aber eben „Fehler“. Man könnte also auch so übersetzen:

Wer von euch der Fehlerlose (ὁ ἀμαμάρτητος) ist, werfe als Erster einen Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie das gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand. Er richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt? Sie antwortete: Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und mache den Fehler von jetzt an (i.d.S. wiederhole den Fehler)5) nicht mehr (ἀπό τοῦ νῦν μηκέτι ἁμάρτανε)! Johannes 8,7b-11 (Übersetzung WK)

Der Fehler bzw. die Sünde, die ἁμαρτία (gesprochen: hamartía) wird von Jesus nicht geleugnet. Sie führt aber nicht zur Verurteilung, sondern bildet den Ausgangspunkt (ἀπό τοῦ νῦν – gesprochen: apó toû nyn/von nun an) eines Lernprozesses. Gleichzeitig bescheinigt Jesus den Anklägern, dass auch sie nicht ohne Fehler sind. Auch sie haben zu lernen – und tun das offensichtlich auch, lassen sie die Steine doch fallen. Die eigene Fehlerhaftigkeit, die eigene ἁμαρτία, zu leugnen, verstellt den Weg zur Erkenntnis.

Vermeidet nicht, sondern liebt die Fehler

Ein Beispiel fehlerhafter Fehlerkultur konnten geneigte Beobachterinnen und Beobachter im ausgehenden Jahr 2019 beobachten. Der WDR hatte in seinem Sender WDR2 ein von einem Dortmunder Kinderchor eingesungenes Lied gesendet und ein zugehöriges Video via Facebook veröffentlicht. Das Lied ist eine Persiflage des bekannten Kinderliedes, das eine im Hühnerstall fahrende Oma besingt, die im Original immerhin als „ganz patente Frau“ gepriesen wird. In Zeiten von Fridays for Future ist eine motorradfahrende Oma natürlich nicht mehr hinnehmbar, so dass aus der „patenten Frau“ ein umweltschädigendes weibliches Borstenvieh wurde. Die Aufregung folgte auf dem Fuße und steigerte sich bis zur in den sogenannten „sozialen Medien“ mittlerweile zur Gewohnheit gehörenden Hysterie6); das Video wurde gelöscht und der der Intendant des WDR, Thomas Buhrow entschuldigte sich7). Die Proteste reißen aber nicht ab. Mitarbeiter des WDR beklagen sich über mangelnde Rückendeckung seitens ihres Intendanten8), während rechtsgerichtete Demonstranten trotz massiver Gegendemonstrationen den mittlerweile als „Oma-Gate“ bezeichneten vermeintlichen Skandal nutzen, um Sinn und Zweck des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gänzlich in Frage zu stellen9). Die ganze Geschichte ist ein hervorragendes Beispiel eines auf mangelhafter Fehlerkultur fehlgeleiteten Krisenmanagements. Was war überhaupt passiert?


Ausschnitt ‘Satire Deluxe’
Die Bühnenschau (WDR5 vom 9.11.2019)

Jenseits aller Fragen, ob hier Kinder politisch verzweckt wurden, ob das Lied überhaupt Satire ist und hier politische Agitation betrieben wurde, müsste erst einmal die Frage nach der Quelle des Liedchens gestellt werden. Es wurde nämlich mitnichten erst am 9.11.2019 gesendet10). Dort findet sich ab Minute 34:30 ein deutlich als Satire erkennbarer Beitrag, in dem die Umweltbewegung „Fridays for Future“ aufs Korn genommen wird. Zukünftig würden Kinder wohl in einer Hotline ihre Großeltern denunzieren – worauf das fragliche Liedchen gesungen wird; wohlgemerkt von erwachsenen Kabarettisten. Der gesamte Kontext des Originals weist auf einen satirischen Zusammenhang hin.

Was nun bei WDR2 erfolgt ist, ist ein doppelter „Fehler“, der auch vielen anderen Kreativen in Kunst, Kultur und Wissenschaft passiert: 1. Es wurde nur das Lied ohne den satirischen Kontext präsentiert. Damit aber geht der eigentliche Impetus verloren. Aus einer Satire auf die Umweltbewegung „Fridays for Future“ wird nun eine kontextlose Klage gegen Omas. Die wird 2. dadurch verstärkt, dass nun anstelle eines erwachsenen Sängers ein Kinderchor das Lied präsentiert. Ist das nun Anlass für einen Skandal? Wohl kaum! Es ist ein Lapsus geschehen, indem ein Text (hier ein Lied) aus dem Zusammenhang gerissen zitiert wird, wodurch das Zitat einen anderen Zungenschlag als den ursprünglich intendierten erhält. Das hätte man kurz und knapp darstellen können. Die Redakteure hätten gelernt, was Studierende schon im Proseminar lernen, dass man Zitate nicht aus dem Zusammenhang reißen sollte (im Originalkontext wäre auch ein Kinderchor kein Problem gewesen …). Das hätte man öffentlich kommuniziert – und das wäre es wahrscheinlich gewesen. Die Oma wäre eine patente Frau geblieben, die Mücke nie zum Elefanten geworden.

Das Problem war nicht das WDR-Video. Es ist auch nicht wichtig, wer das Video veranlasst hat. Das Problem war und ist der Umgang mit den Fehlern, die nun halt geschehen sind. Kann man daraus lernen? Man kann und man muss. Auch die Kirche muss aufhören, eine weiße Weste zu behaupten, die sie nie gehabt hat. Das ist eine alternative Wahrheit, die alles nur durcheinanderbringt. Zur Kirche gehört, dass einer ihrer Säulen, der Fels, auf dem sie gebaut ist, von Anfang an und immer wieder versagt hat. Petrus versagt nicht nur nach seinem Messiasbekenntnis, indem er das kommende Leiden Jesu nicht wahrhaben will (vgl. Matthäus 16,13-23 parr) – wie gesagt: eine wichtiger „Fehler“ göttlichen Handelns, ohne den Erlösung, Heil und Gerechtmachung der Menschen gar nicht möglich wären. Er versagt auch seine Solidarität, als es darauf ankommt – und Jesus weiß, dass es zu diesem Fehler kommen wird:

Da sagte Jesus zu ihnen: Ihr werdet alle Anstoß nehmen; denn in der Schrift steht: Ich werde den Hirten erschlagen, dann werden sich die Schafe zerstreuen. Aber nach meiner Auferstehung werde ich euch nach Galiläa vorausgehen. Da sagte Petrus zu ihm: Auch wenn alle Anstoß nehmen – ich nicht! 30 Jesus sagte ihm: Amen, ich sage dir: Heute, in dieser Nacht, ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Petrus aber beteuerte: Und wenn ich mit dir sterben müsste – ich werde dich nie verleugnen. Das Gleiche sagten auch alle anderen. Markus 14,27-31 parr

Nur wenig später wird Petrus sein großmütiges Bekenntnis selbst Lügen strafen (siehe Markus 14,53-72 parr). Vielleicht ist es genau diese Erfahrung des eigenen Scheiterns, die ihn befähigt, am Pfingsttag lautstark das Evangelium des vom Kreuzestod Auferstandenen zu verkünden (vgl. Apostelgeschichte 2,14-36). Und so wird sein Prozess des Lernens aus Fehlern weitergehen über die Taufe des Hauptmanns Cornelius (vgl. Apostelgeschichte 10), den antiochenischen Zwischenfall nach dem Apostelkonzil (vgl. Galater 2,11-14) bis hin zu der legendarischen Erzählung in den apokryphen Petrusakten, nach denen Christus dem aus Rom fliehenden Petrus begegnet und ihm auf die Frage, wohin er gehe, antwortet: „Nach Rom, um mich erneut kreuzigen zu lassen.“ Jetzt erst kommt der Lernprozess des Petrus an sein Ziel, in dem er selbst nach Rom zurückkehrt, um dort das Schicksal des Gekreuzigten endgültig zu teilen11).

Der Fehler macht auch hier den Meister. Hört also nicht auf, das Lob des Fehlers zu singen! Bringt sie ans Licht! Lernt aus ihnen! Errare aude – habe den Mut, Fehler zu machen! Auch und gerade in der Kirche. Denn der Fehler führt zur Erkenntnis – aber nur, wenn man ihn zulässt …

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Bildnachweis

Titelbild: Graffiti “Mistake” – Quelle: pxfuel – lizenziert als CC0

Bild 1: Jesus und Ehebrecherin (Rembrandt von Rijn) – Quelle: Wikicommons – lizenziert als gemeinfrei

Audio: Ausschnitt “Fridays for Future – Hotline” aus “Satire Deluxe” – Die Bühnenshow – WDR5 – 9.11.2019

Einzelnachweis   [ + ]

1. Vgl. auch https://www.dei-verbum.de/die-luege-und-ihre-folgen/ [Stand: 6. Januar 2020].
2. Vgl. hierzu etwa die Ausführungen zur Fehlerkultur bei der Feuerwehr Dortmund unter https://www.unfallkasse-nrw.de/fileadmin/server/download/Feuerwehr/Allgemein/SFF_2018/2018_09_19_SFF_UKNRW_ATHEBOS_Grobelny.pdf [Stand: 5. Januar 2020].
3. Gesprochen: ho amamártetos – wörtlich: der Sündenlose/Unsündige.
4. Gesprochen: apó toû nyn mekéti hamártane.
5. ἁμάρτανε (gesprochen: hamártane) ist Imperativ Präsenz. Im Unterschied zur punktuellen Aktionsart des Aorist kommt dem Präsenz ein iterativer bzw. durativer Aspekt zu. Es geht also nicht um das einmalige Vermeiden des Fehlers, sondern um das dauerhafte Vermeiden, eben die Nicht-Wiederholung.
6. Vgl. hierzu https://www1.wdr.de/nachrichten/WDR2-Video-Diskussionen100.html [Stand 5. Januar 2020].
7. Vgl. hierzu etwa Katja Horwarth, „Umweltsau“-Satire: WDR-Intendant Tom Buhrow bekräftigt seine Kritik, in: Frankfurter Rundschau online, 3.1.2020, Quelle: https://www.fr.de/kultur/umstrittene-umweltsau-satire-wdr-intendant-bekraeftigt-seine-kritik-13372729.html [Stand: 5. Januar 2020].
8. Siehe hierzu etwa Carolin Gasteiger, WDR-Redakteure werfen Buhrow mangelnde Rückendeckung vor, in: SZ-online, 4.1.2020, Quelle: https://www.sueddeutsche.de/medien/wdr-tom-buhrow-redaktionsvertretung-umweltsau-video-1.4745301 [Stand: 5. Januar 2020].
9. Vgl. hierzu etwa https://www.merkur.de/politik/wdr-kinderchor-buhrow-brandbrief-oma-umweltsau-video-lied-klimaschutz-shitstorm-morddrohung-zr-13372644.html [Stand: 5. Januar 2020].
10. Der Mitschnitt der Sendung ist noch bis zum 6.11.2020 unter https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/unterhaltung-am-wochenende/satiredeluxe-live-100.html [Stand: 5. Januar 2020] verfügbar.
11. Vgl. Acta Petri (APt), 35 (6) – greifbar bei Wilhelm Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Bd.2: Apostolische Apokalypsen und Verwandtes, Tübingen 1999, S. 243-289, hier: S. 286
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4 Replies

  1. Grüezi Herr Dr. Kleine

    Besten Dank:

    “Wer von euch der Fehlerlose (ὁ ἀμαμάρτητος) ist, werfe als Erster einen Stein auf sie”.
    ……
    Da sagte Jesus zu ihr:

    Auch ich verurteile dich nicht. Geh und mache den Fehler von jetzt an (i.d.S. wiederhole den Fehler)5) nicht mehr (ἀπό τοῦ νῦν μηκέτι ἁμάρτανε)! Johannes 8,7b-11 (Übersetzung WK)”.

    Fehler und Sünde, dieser Aspekt war mir bisher unbekannt. Ein interessanter Gedanke zu:

    “Aus Fehlern wird man Klug!”; aus der Hoffnung dass man die gleichen Fehler nicht wiederholt oder mindestens vermeidet. Eine Garantie gibt es nicht.

    Wir Katholiken haben mit der Beichte einen grossen Vorteil, überspitz formuliert!

    Mit der Beichte können wir uns von Sünde befreien. Mit der Betonung auf “können”.

    Und erhalten vom Priester die Absolution – aller Sünden oder nur die Fehler, die man dem Priester gemeldet hat? Spricht man mit dem Priester darüber, wie Fehler in Zukunft vermieden werden könnten (möglicherweise) und nicht können!

    Für mich stellt sich die Frage?

    Bekenne ich nur vor Gott, vertreten durch den Priester als Beichtvater, als Kind sprach man von Fehlern nicht mit dem strengen Vater, sondern mit der Mutter oder mit der Person an der der Fehler oder die Sünde vollbracht wurde?

    Oder bekenne ich meine Fehler vor der Gemeinschaft:

    “Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen,
    und allen Brüdern und Schwestern,
    dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe:

    ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken:

    durch meine Schuld,
    durch meine Schuld,
    durch meine große Schuld.

    Darum bitte ich die selige Jungfrau Maria,
    alle Engel und Heiligen
    und euch, Brüder und Schwestern,
    für mich zu beten bei Gott, unserem Herrn.”

    • Lieber Herr Fässler, der besondere Wert der Beichte liegt für mich darin, dass sie die subjektive Gewissheit göttlicher Vergebung den objektiven Indikativ der Absolution entgegenstellt. Ich bin überzeugt, dass Gott uns auch ohne die Beichte vergibt. Für uns Menschen aber ist die objektive und (durch den Priester) gewissermaßen amtlich gesicherte Vergebungszusage von einer ganz anderen Qualität als eine innere Gewissheit, die man sich ja auch zurechtmachen könnte. Das ist noch einmal verschieden von dem von Ihnen zitierten “allgemeinen Schuldbekenntnis”, das eben allgemein und nicht persönlich ist. Auch hier bin ich gewiss, dass Gott vergibt. Aber auch hier gibt es für uns Menschen einen Unterschied in der Wahrnehmung: Es ist etwas anderes, ob ich meine persönlichen Fehler bekenne und die Zusage der Vergebung bekomme, oder ob dies “allgemein” geschieht. Wohlgemerkt: Gott vergibt! Daran habe ich keinen Zweifel. Der Unterschied liegt bei uns gewissermaßen in der Wirkung: Es wirkt halt anders, ob ich persönlich die Zusage bekomme, oder ob sie allgemein erbeten wird. Viele Grüße in die Schweiz, Ihr Dr. Werner Kleine

      • Grüezi Herr Kleine

        Wer kann den Fehler oder die Sünde vergeben, das ist für mich die Frage.

        Nicht nur vor Gott und den Menschen, sondern an der Person, an der “ich gesündigt habe, in Gedanken, Worten und Werken”!

        Die Bitte um Verzeihung fällt in solchen Fällen oft schwer. Besonders schwer fällt der Anfang dieses Bitt-Prozesse.

        In Japan soll es eine Tradition geben, das man “gewisse Dinge” nicht direkt anspricht, sondern über einen Vermittler zum Beispiel einen Priester.

        Gruss Bebbi Fässler

        P.S. Dem Heiligen Vater, Papst Franziskus wird oft seine “Barmherzigkeit” vorgeworfen.

        • Das sehe ich genauso wie Sie. Wenn es um einen zwischenmenschlichen Konflikt geht, dann sollte das auch zwischen den Betroffenen geklärt werden. Es gibt aber auch Fehler, die nicht rein zwischenmenschlich sind. Hier ist die Beichte sicher von besonderer Bedeutung. Aber auch bei zwischenmenschlichen Konflikten kann ein (Beicht-)Gespräch zur Selbstreflexion hilfreich sein, die dann in die Klärung zwischen den Betroffenen hineinführt.